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Grundlagen und Praxis der Soziotherapie: Richtlinien, Begutachtung, Behandlungskonzepte, Fallbeispiele, Antragsformulare
Grundlagen und Praxis der Soziotherapie: Richtlinien, Begutachtung, Behandlungskonzepte, Fallbeispiele, Antragsformulare
Grundlagen und Praxis der Soziotherapie: Richtlinien, Begutachtung, Behandlungskonzepte, Fallbeispiele, Antragsformulare
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Grundlagen und Praxis der Soziotherapie: Richtlinien, Begutachtung, Behandlungskonzepte, Fallbeispiele, Antragsformulare

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About this ebook

Unter Mitarbeit von Sybille Schreckling und Petra Godel-Ehrhardt

Soziotherapie soll gemäß § 37a SGB V schwer psychisch Kranken die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen ermöglichen. Sie soll durch Motivation und strukturiertes Training helfen, psychosoziale Defizite abzubauen und die Patienten in die Lage versetzen, die erforderliche Behandlung anzunehmen. Obwohl soziotherapeutische Maßnahmen seit 2002 zum Leistungskatalog der Krankenkassen gehören, besteht bei Psychiatern, Sozialtherapeuten, Psychiatriepflegekräften und gesetzlichen Betreuern ein großer Informationsbedarf. Die Autoren geben mit diesem Buch einen anschaulichen Einblick in Grundlagen und Anwendung der Soziotherapie.
LanguageDeutsch
Release dateMar 31, 2005
ISBN9783170272781
Grundlagen und Praxis der Soziotherapie: Richtlinien, Begutachtung, Behandlungskonzepte, Fallbeispiele, Antragsformulare

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    Book preview

    Grundlagen und Praxis der Soziotherapie - Ralf-Michael Frieboes

    Vorwort

    Dieses Buch ist aus der intensiven Beschäftigung mit soziotherapeutischen Behandlungsverfahren heraus entstanden, nachdem es notwendig wurde, zur Ausgestaltung der ambulanten Leistung Soziotherapie gemäß § 37a SGB V eine Definition zu schaffen.

    Die Veröffentlichung geschieht in der Hoffnung, dass sowohl bereits fachlich kompetente als auch erstmalig am Thema interessierte Kolleginnen und Kollegen mit diesem Buch einen fundierten Einblick in die Vielfalt der Behandlungsmethoden erhalten, die als psychosoziale Therapie bezeichnet werden. Daneben soll allen Leserinnen und Lesern mit diesem Band vermittelt werden, wie relevant die sozialrechtlichen und sozialmedizinischen Rahmenbedingungen für die Erbringung derartiger Leistungen sind.

    Das Buch soll neben der Darstellung der allgemeinen Grundlagen und der Erläuterung, welche Behandlungsmaßnahmen nicht zur ambulanten Soziotherapie gerechnet werden können, insbesondere verordnende Ärzte und Leistungserbringer ermutigen, die ambulante Soziotherapie anzuwenden! Hier gibt es eine ganz praktische Unterstützung durch die Interpretation der Soziotherapie-Begutachtungsrichtlinien. Die Fallbeispiele haben Frau Dr. Sybille Schreckling und Frau Godel-Ehrhardt dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt.

    Ich danke besonders herzlich Herrn Professor Dr. Hans Förstl, Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Technische Universität München, und seinen Kollegen der Medizinischen Fakultät, ohne deren engagierte Unterstützung dieses Buch nicht in der vorliegenden Form entstanden wäre!

    Herrn Dr. R. Poensgen vom Kohlhammer Verlag danke ich für die sehr angenehme und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

    München und Bern, Herbst 2004, Ralf-Michael Frieboes

    1 Grundlagen

    1.1 Einführung der ambulanten Soziotherapie in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung

    1.1.1 Vorbemerkung

    Die psychiatrische Behandlung beruht generell auf drei Säulen: Pharmakotherapie, Psychotherapie und psychosoziale Therapie. Was unter letztgenannter Behandlungsmethode genau zu verstehen ist, musste bis zum heutigen Tage unklar bleiben, weil es keine verbindliche sozialrechtliche Definition gibt, und der Begriff selbsterklärend wirkt. Im Unterschied zu seit Jahrzehnten im stationären Behandlungsalltag etablierten Formen der psychosozialen Therapie, die teilweise als Soziotherapie bezeichnet werden, handelt es sich bei der seit 2002 in Deutschland implementierten ambulanten Soziotherapie um eine klar umschriebene, sozialrechtlich definierte, Leistung innerhalb der ambulanten Akutbehandlung. Dabei unterscheiden sich die im § 37a des fünften Sozialgesetzbuchs festgelegten Rahmenbedingungen der ambulanten Soziotherapie und deren Ausgestaltung durch die Soziotherapie-Richtlinien des Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Richtlinien 2001) deutlich von dem klassischen Soziotherapiebegriff (Frieboes 2004). In diesem Buch werden Grundlagen und Inhalte beider Soziotherapieformen beschrieben. Die Geschichte der Entwicklung der ambulanten Soziotherapie sowie das vorausgehende Modellprojekt »Ambulante Rehabilitation psychisch Kranker« werden gewürdigt. Zur Beurteilung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit werden die am ehesten vergleichbaren sozialpsychiatrischen Behandlungsmethoden und deren Evaluation im europäischen Ausland herangezogen.

    Bereits 1989 wurde durch das Gesundheitsreformgesetz im § 27 Abs. 1 SGB V zur Krankenbehandlung festgelegt, dass dem besonderen Bedürfnis schwer psychisch Kranker Rechnung zu tragen sei, insbesondere bei ihrer Versorgung durch Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Zwischen 1994 und 1998 fand ein aus Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums und der Spitzenverbände der Krankenkassen gefördertes Modellvorhaben statt, das sich »Ambulante Rehabilitation psychisch Kranker« nannte. Die Auswertung dieses Modellvorhabens hatte zum Ergebnis, dass durch zusätzliche ambulante Leistungen die Zahl der notwendigen Krankenhausbehandlungstage reduziert werden konnte (Melchinger 1999). Die in dem Modellvorhaben erprobte ambulante Leistung stellte keine neue eigenständige Therapieform dar, sondern wurde unter dem Aspekt des methodenübergreifenden Grundprinzips helfenden Handelns aufgefasst – unter fachärztlicher Verordnung und Führung. Zu Jahresbeginn 2000 trat dann mit § 37a SGB V ein Gesetz in Kraft, das eine aus dem vorhergehenden Modellvorhaben abgeleitete Leistung im Bereich der ambulanten Patientenversorgung durch niedergelassene Ärzte zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung etablieren sollte. Es handelte sich nicht um eine klare rehabilitative Aufgabe im Sinne des Rehabilitationsbegriffs aus SGB V, VI und IX sondern um eine kurative ambulante Leistung zur Verminderung der stationären Krankenhausbehandlungstage. Die Leistung wurde deshalb nicht mehr »ambulante Rehabilitation psychisch Kranker« sondern »Soziotherapie« genannt. Damit wurde erstmals eine gesetzliche Definition der Soziotherapie abgegeben, auch wenn diese besondere ambulante Form nicht dem gängigen Begriff der stationären Behandlungsform dieses Namens entsprach. Der Gesetzgeber wollte mit der Neueinführung des § 37a zwei Dinge verbessern: Zum einen die Zuführung der schwerkranken Patientengruppe der an Schizophrenie erkrankten Mitbürger zu geeigneten Behandlungsformen, zum anderen den Übergang von der medizinischen Behandlung zur sozialen Reintegration.

    Das Hauptaugenmerk der Behandlung liegt auf der Stärkung der verbliebenen Ressourcen, und nicht, wie vormals, auf dem alleinigen Angehen der krankheitsbedingten Defizite. Zudem werden die Krankheitssymptome und funktionalen Störungen im Kontext erfasst und führen bereits im Frühstadium zu entsprechenden Therapiemaßnahmen. Die Voraussetzungen zur Verordnung der ambulanten Soziotherapie ergeben sich aus den Richtlinien: Die Patienten müssen so schwer psychisch krank sein, dass sie nicht in der Lage sind, selbstständig ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen in Anspruch zu nehmen. Außerdem muss eine Krankenhausbehandlung vermieden oder aber verkürzt werden. Schließlich soll bei den in Frage kommenden Krankheitsbildern im Regelfall die ambulante Soziotherapie erforderlich sein. Patienten, die an einer Erkrankung aus dem Spektrum schizophrener Krankheiten leiden, z. B. mit einer akuten Exazerbation, kommen in erster Linie in Betracht. Im besonderen Maße benötigen diese Patienten Hilfe, ärztlich verordnete Leistungen selbstständig in Anspruch zu nehmen. Geschieht das nicht, wird häufig eine (erneute) Krankenhausbehandlung notwendig. Es handelt sich hierbei um die klassischen »Drehtürpsychiatrie«-Patienten.

    Ambulante Soziotherapie stellt einen personenzentrierten individuell an die Belange des Patienten angepassten Hilfeansatz dar. Das Konzept weist inhaltlich Gemeinsamkeiten mit in anderen Ländern umgesetzten Ideen des ambulanten casemanagements auf. Allerdings sind wegen des gegliederten Versorgungs- und Sozialversicherungssystems in Deutschland die Aktivitäten des soziotherapeutischen Leistungserbringers auf Therapiemaßnahmen, die von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden, beschränkt. Von Rentenversicherungsträgern oder der Sozialhilfe finanzierte Therapie- oder Rehabilitationsmaßnahmen können nicht übergreifend berücksichtigt werden. Deshalb handelt es sich bei der ambulanten Soziotherapie nicht um eine integrierte Behandlung. Die flächendeckende Implementierung der ambulanten Soziotherapie ist in Deutschland sehr unterschiedlich gelungen (Stand: Sommer 2004). Die Gründe für eine teilweise mangelhafte Einführung sind vielfältig. Tatsächlich haben viele verordnende Ärzte und potentielle Leistungserbringer das umfassendere Verständnis von Soziotherapie verinnerlicht, das der stationären Form von Soziotherapie entspricht. Widerstände bei einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen und Leistungsträgern sind genauso zu benennen wie eine vergleichsweise geringe Vergütung für die Verordner und Erbringer der Leistung. Einseitige Schuldzuweisungen oder die politische Forderung nach Änderungen der Soziotherapie-Richtlinien (Melchinger und Machleidt 2003) scheinen allerdings wenig zielführend, soll es um die bessere Implementierung der Leistung und die Behebung der Unterversorgung gehen.

    Festzustellen ist, dass weder im stationären noch im ambulanten Bereich wissenschaftliche Auswertungen zur Wirksamkeit der Soziotherapie vorliegen, die eine Beurteilung der Behandlungsmethode im Sinne der evidence based medicine (Drake et al. 2000) zuließen. Die »Evaluation und analytische Auswertung des Modellprojektes Ambulante Rehabilitation psychisch Kranker« (Melchinger 1999) evaluierte ein Modellvorhaben, das nicht mit der ambulanten Soziotherapie gemäß § 37a SGB V und den daraus abfolgenden Richtlinien gleichzusetzen ist. Vielmehr ist Reker (1999) zu folgen, der die Begründung der Methode Soziotherapie insgesamt als empirisch reduktiv bezeichnet. Es ist aus diesem Grunde sinnvoll, inhaltliche Vergleiche mit intensiver untersuchten Therapiemaßnahmen der betreffenden Patientengruppe, etwa der Psychoedukation, der Familientherapie und dem social skills training heranzuziehen, oder Erfahrungen in anderen Gesundheitssystemen, dem englischen oder italienischen, zu diskutieren (Becker 1998). Gleichzeitig sind jedoch wissenschaftliche Bewertungen und metaanalytische Ergebnisse aus jenen standardisierten Behandlungsverfahren auf die deutsche ambulante Soziotherapie wegen der deutlichen Unterschiede im Versorgungssystem und bei den Therapieinhalten nicht übertragbar.

    1.1.2 Psychiatrische Versorgung von Patienten mit schweren psychischen Störungen in Deutschland

    Das gegliederte Versorgungssystem

    Seit der Psychiatrie-Enquête 1975 bekennen sich alle Verantwortungs- und Kostenträger einheitlich zu dem Ziel, die flächendeckende Versorgung psychisch kranker Bürger verbessern und gemeindenah gestalten zu wollen. Es wurden Projekte zur Gesundheitsberichtserstattung ins Leben gerufen mit dem Ziel, Basisdaten zur Bedarfsplanung psychiatrischer Versorgung zu erhalten. 1993 initiierte das Bundesministerium für Gesundheit ein Forschungsprojekt, das die Strukturen der Berichterstattung analysieren sollte (Rössler und Salize 1996a). Mängel in der Gesundheitsberichtserstattung, die aus Schwierigkeiten der Datenzusammenführung und Datenauswertung resultieren, beruhen auf einer im Fach Psychiatrie überdurchschnittlich häufig ungenügenden oder überhaupt nicht vorhandenen Basisdokumentation. Im Jahr 2000 wurde von der Aktion Psychisch Kranke (APK) ein »Dokumentationsprojekt« gestartet, das auf die Generierung flächendeckender Versorgungsdaten hoffen lässt.

    Bei der Versorgung psychiatrischer Patienten in Deutschland ergeben sich zwischen einzelnen Bundesländern, aber auch regional innerhalb einzelner Länder, große Unterschiede. Aufgrund der kommunalen Zuständigkeit lassen sich sehr differierende Ansätze in der Versorgung psychiatrischer Patienten beobachten, Versorgungsforschung und Bedarfsplanung sind nicht flächendeckend oder länderübergreifend implementiert. Zum Beispiel schwankten 1994 die psychiatrische Bettenzahl je 1 000 Einwohner zwischen 0,57 in Mecklenburg-Vorpommern und 1,52 in Berlin und die Zahl der Pflegeplätze in Wohneinrichtungen für psychisch Kranke je 1 000 Einwohner zwischen 0,013 in Brandenburg und 2,03 in Schleswig-Holstein (zitiert nach Rössler und Salize 1996b).

    Zusätzlich zur regional unterschiedlichen Organisation der psychiatrischen Versorgung ist eine nicht einheitliche Zuordnung einiger Leistungen zu verschiedenen Sozialversicherungsträgern zu verzeichnen. Für Maßnahmen des betreuten Wohnens oder der Wiedereingliederung schwer psychisch Kranker z. B. sind entweder die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die Rentenversicherungsträger (RVT) oder Sozialhilfeträger zuständig. Übergänge von einem Sozialversicherungsträger zum anderen sind durch eine Schnittstellenproblematik gekennzeichnet. Während in norddeutschen Stadtstaaten die patientenorientierte Versorgung im Sinne einer Behandlungskette unter Gesichtspunkten eines Krankenkassen-Fallmanagements teilweise etabliert ist, findet sich im Flächenstaat Bayern die Zugehörigkeit des Patienten zu Regierungsbezirken als wegweisendes Kriterium. Tatsächlich kann die Diskussion um Vor- und Nachteile von »managed care« in der psychiatrischen Versorgung kontrovers geführt werden (Maylath 1999). Versuche zur Überwindung der Schnittstellenproblematik verschiedener Kostenträger des gegliederten Sozialsystems Deutschlands wurden in den letzten Jahren wiederholt in regionalen Modellprojekten erfolgversprechend angestellt. Einen bundeseinheitlichen Ansatz zur Verbesserung einer Vernetzung von Versorgungsstrukturen, zumindest innerhalb der Kostenträgerschaft durch die GKV, könnte die Umsetzung des seit 1999 im Sozialgesetzbuch verankerten § 140a SGB V, »Integrierte Versorgung« darstellen, der es Krankenkassen ermöglicht, mit Gemeinschaften zur vertragsärztlichen Versorgung, Kassenärztlichen Vereinigungen, Trägern zugelassener Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen gemeinsame Verträge abzuschließen. Integrierte Versorgungsstrukturen finden sich derzeit allerdings nur fragmentarisch mit Modellcharakter. Interessanterweise bestand in den »Neuen Bundesländern« bis 1991 ein gut funktionierendes System durchgängiger Versorgung psychisch Kranker von der Erstmanifestation einer Erkrankung, der ggf. stationären und ambulanten (poliklinischen) Behandlung bis zur beruflichen Rehabilitation. Dieser Umstand kann nicht darüber hinweg täuschen, dass daneben vielerorts menschenunwürdige Verwahranstalten zu finden waren (Antwort der Bundesregierung, 1993). Derzeitig ist nicht mit einer grundsätzlichen Reform des gegliederten Sozialsystems Deutschlands, die kostenträgerübergreifendes Fallmanagement etablieren und eine trägerübergreifende integrierte Behandlung ermöglichen würde, zu rechnen. Auch die anstehende Gesundheitsreform der Jahre 2004 und 2005 wird an dem gegliederten System keine fundamentale Änderung einleiten.

    Von großer Relevanz sind Fragen der Versorgung, insbesondere dezentraler und gemeindeintegrierter Versorgung, unter anderem für Patienten, die an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leiden. Sie stellen neben den Patientengruppen mit psychiatrischen Erkrankungen im höheren und hohen Lebensalter, mit affektiven Störungen oder andauernden Anpassungs- und Belastungsstörungen eine bedeutende Population dar, die wegen des Krankheitsverlaufs und ggf. unterschiedlicher Kostenträgerschaften innerhalb einer »Patientenkarriere« gesundheitsökonomisch und sozialpolitisch Interesse findet. Aufgrund der regional uneinheitlichen Kostenübernahmen ergeben sich in Regierungsbezirken, Landkreisen und kreisfreien Städten sehr unterschiedliche Versorgungskonzepte, deren Inanspruchnahme eine differenzierte Kenntnis der Strukturen voraussetzt (Rössler und Salize 1993). Krankheitsimmanente Antriebsstörung und mangelhafte Compliance bei schizophrenen Patienten führt bei Nicht-Inanspruchnahme von Versorgungsstrukturen häufig zu sozialer Isolation und faktischem Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben. Zur Verbesserung dieser Situation, die – mitbedingt durch mangelhafte Kommunikation an den Schnittstellen der Kostenträger – regionale Unterversorgung (u. a.) ausgerechnet derjenigen Patientengruppe hervorruft, die in der Gesellschaft beträchtlich stigmatisiert wird (Angermeyer und Matschinger 1993), wurde in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre vom Gesetzgeber die Einführung der ambulante Leistung der GKV »Soziotherapie gemäß § 37a SGB V« zur gemeindenahen und krankheitsspezifischen Versorgung schizophrener Patienten vorbereitet.

    Epidemiologie der Schizophrenie

    Eine genaue Anzahl der schizophren erkrankten Patienten lässt sich aus methodischen Gründen nur ungenau festlegen, da zwischen Patientenzahlen, die sich auf den jeweiligen aktuellen Krankheitsstatus oder aber auf »Lebenszeitdiagnosen« beziehen, zu unterscheiden ist. Die Weltgesundheitsorganisation stuft die Schizophrenie als eine der weltweit kostenträchtigsten Krankheiten ein, da nicht nur die absolute Erkrankungshäufigkeit sondern auch Chronizität und Beeinträchtigungen der Fähigkeit zum selbstständigen Leben sekundäre Krankheitskosten verursachen.

    In epidemiologischen Studien werden grundsätzlich zwei Häufigkeitsmaße, Inzidenz und Prävalenz unterschieden. Dabei ergibt sich die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit, Anzahl der kranken Individuen pro 100 Untersuchten) aus der Inzidenz (Anzahl der Personen, die im Verlauf eines bestimmten Zeitraums an einer bestimmten Krankheit erstmals erkranken) und dem Verlauf der untersuchten Erkrankung. Will man bei der epidemiologischen Betrachtung von Psychosen des schizophrenen Formenkreises die Prävalenz benennen, ist es wichtig, die Anzahl der Exazerbationen oder wieder auftretenden Behandlungsbedürftigkeiten schwerer Erkrankungsfälle im Verlaufe zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Abschätzung der Anzahl potentieller Leistungsempfänger bestimmter Behandlungsverfahren sind eine Einjahresrückfallrate von ca. 50 % und die Gesamtzahl der Rezidive pro Patient von Relevanz (Kissling 1997). Andererseits ist es nicht ausreichend, das Maß der Inzidenz, also der Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum, zu betrachten, da es sich z. B. bei Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit schwerer Psychosen nur zu einem gewissen Prozentsatz um neuerkrankte Patienten handelt.

    Ungeachtet der methodischen Schwierigkeiten wird häufig die Lebenszeitprävalenz angegeben, die unabhängig von kulturellen Einflüssen mit 1–1,5 % der Bevölkerung benannt wird. Das hieße, dass von 100 000 Einwohnern mehr als 1 000 in ihrem Leben an einer schweren Psychose leiden. Die Inzidenzrate (neuaufgetretene Krankheitsfälle) wurde in einer epidemiologischen Studie in Deutschland in einem Untersuchungsgebiet mit 1,5 Millionen Menschen erhoben: Während zweier Untersuchungsjahre wurde eine Stichprobe von 392 Menschen, die erstmalig mit der Diagnose einer Schizophrenie stationär aufgenommen werden mussten, gefunden (Häfner et al. 1991). Bei geschätzten 80 Millionen Einwohnern in Deutschland berechnet sich eine Anzahl von weit über 500 000 Erkrankten (bei Berücksichtigung der Lebenszeitprävalenz) und ca. 12 000 Neuerkrankungen pro Jahr. Das statistische Bundesamt gibt für 1998 insgesamt 119 697 Krankenhausbehandlungsfälle wegen einer Schizophrenie mit einer mittleren Verweildauer von 49,5 Tagen an.

    Versorgungsstrukturen in der

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