Gritli: Gritlis Kinder
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About this ebook
Hans Christian Andersen
Hans Christian Andersen was born in Odense, Denmark, in 1805. He endured a lonely, impoverished childhood consoled by little more than his own imagination. He escaped to a theatre life in Copenhagen aged 14 where the support of a powerful patron enabled him to complete his scant education, and to write. His poetry, novels and travel books became hugely popular. But it was his Fairy Tales, the first children's stories of their kind, published in instalments from 1835 until the time of his death in 1875, that have immortalised him. Translated into more than 100 languages and adapted to every kind of media, they have made Andersen the most important children's writer in history.
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Book preview
Gritli - Hans Christian Andersen
Spyri
Teil I
Wo Gritlis Kinder hingekommen sind
Frohes Leben im Doktorhaus
Ein missglücktes Gespräch
Elsli lernt Nora kennen
Wo ist Fani?
Die Sonne sinkt…
Elsli findet eine Heimat
Frohes Leben im Doktorhaus
„Guten Abend, Frau Doktorin, tönte es vom Wege herüber, der durch eine Hecke von den Beeten getrennt war. »Sie haben doch immer das schönste Gemüse!
Die Frau Doktorin trat an die Hecke und erwiderte freundlich den Gruß des Tagelöhners.
„Wie geht es denn, Heidi?, fragte sie teilnehmend. „Immer viel Arbeit? Ist alles wohl daheim, Frau und Kinder?
„Ja, ja, gottlob! entgegnete Heidi. „Arbeit gibt’s immer, aber man braucht ja auch Arbeit, die Haushaltung wächst an.
„Eure drei kleinen Buben schauen gut aus, ich habe sie gestern wieder gesehen mit dem Elsli", fuhr die Frau Doktorin fort.
„Aber das Mädel, das Elsli, ist gar so bleich und schmächtig! Ihr vergesst doch nicht, woran seine Mutter gestorben ist? Man darf das Kind gewiss nicht überanstrengen, es ist so zart."
„Ja, ich werde nie vergessen, dass das Gritli so früh hat sterben müssen. Die Marget ist eine tapfere Frau und brav, aber das Gritli kann ich nicht aus dem Sinn bekommen!" Heidi wischte sich mit der Hand ein paar Tränen fort.
Der mitfühlenden Doktorin kamen ebenfalls die Tränen in die Augen. „Ich vergesse es auch nicht, Heidi. Wie gerne wäre das arme Gritli noch bei euch und seinen beiden kleinen Kindern geblieben! Ich kann das Elsli nie sehen, ohne dass es mir Sorge macht, ob es auch nicht zu sehr angestrengt wird daheim. Und wie ist es denn mit dem Elsli, steht sich die Mutter gut mit ihm?"
„Nun, sehen Sie — der Heidi trat näher an die Hecke heran —, „das Kind gibt mehr nach. Es tut, was die Marget will, und hat kein Widerwörtlein den ganzen Tag und klagt nie, und wenn es auch von der Zeit an, wo es aus der Schule kommt, bis es ins Bett muss, immer zu helfen hat und die Buben hütet und das Kleine herumträgt.
„Nur auch nicht zuviel, Heidi, mahnte bekümmert die Frau Doktorin, „es ist mir eine rechte Sorge mit dem Kinde. Schickt mir doch die Marget bald einmal vorbei, ich möchte auch darüber ein Wörtchen mit ihr reden; sagt ihr, ich habe ihr etwas für die Kinder zu geben, entwachsene Kleidung von meinen.
„Das will ich gerne tun, und ich sag’ auch schon jetzt herzliches. Vergelt’s Gott. Aber jetzt, denk’ ich, sollt’ ich wohl wieder weiter.
„Gute Nacht, Heidi…"
Die Frau Doktorin blieb sinnend zwischen den Gemüsebeeten stehen… Sie sah mit einem Mal ein fröhliches Mädchengesicht mit großen blauen Augen vor sich: das Gritli, armer Leute Kind, das aber immer so sauber gekleidet ging, als sei es eben frisch aus dem Ei gepellt. Mit achtzehn Jahren heiratete es den gutmütigen, fleißigen Heidi, der ihm oft gesagt, er wolle für sie beide arbeiten, wenn es nur seine Frau werden möge. Schon nach fünf Jahren welkte das zartgebaute Gritli an der Schwindsucht dahin. Ihre beiden Kinder, Stephan und Elsli, hatte die junge Frau vom ersten Augenblick an so schmuck und sauber gehalten, dass es ihnen für immer tief eingeprägt blieb. Der Heidi, obgleich untröstlich über Gritlis Hinscheiden, musste aber für sie wieder eine zweite Mutter haben, und die Leute rieten ihm, er solle die Marget zur Frau nehmen, denn sie werde ihm gut helfen in der Arbeit. So also heiratete er die Marget; sie war tüchtig und fest in allem Schaffen, aber auf Schmuck und Blumen und besondere Sauberkeit hielt sie nichts. Die kleben Buben und das Wiegen-kind sahen nicht so aus, wie der Fani und Elsli ausgesehen und auch jetzt noch aussahen, denn ihnen war die erste Gewohnheit geblieben und in Fleisch und Blut übergegangen.
Aus diesen Erinnerungen wurde die Doktorin durch ein fürchterliches Geschrei vom Hause her aufgeschreckt. Das achtjährige Rikli, um die Ecke kommend, stürzte auf sie los; hinter ihr drein der Bruder Fred, unter dem rechten Arm ein großes Buch, den linken mit geschlossener Faust ausstreckend.
„Jetzt sieh doch nur, Mama, rief er entrüstet, „warum dieses vernunftlose Wesen, dieses Rikli, sich so gebärdet! Schau, dieses niedliche Fröschlein habe ich gefangen und dem Rikli unter die Nase gehalten.
„Rikli, nun sei ganz still, es ist genug, gebot die Mutter dem immer noch aufschreienden Kind, „und du, Fred, weißt sehr wohl, dass Rikli sich — allerdings in sehr unvernünftiger Weise — vor deinen Tieren fürchtet, warum musst du sie ihm also gerade unter die Nase halten?
In diesem Augenblick nahte ein Wagen.
„Es ist die Dame mit dem kranken Mädchen, lass mich, Fred, lass mich", sagte die Mutter, eilig den Buben beiseiteschiebend.
Der Wagen war schon da. Aus dem Stall kam Hans, der Pferdebursche, aus der Küche die Kathri gelaufen in einer sauberen weißen Schürze, denn man hatte ihr gesagt, sie müsse das kranke Mädchen die Treppe hinauf tragen.
Rikli eilte in die Stube hinein, um der Tante die Geschichte mit dem Froschli zu klagen, denn es konnte nicht darüber hinwegkommen, dass er ihm fast ins Gesicht gesprungen war. Aber die Tante schien augenblicklich keine Zeit zu haben: Oskar, der älteste Bruder, saß neben ihr, in ein ernsthaftes Gespräch vertieft.
Und kaum hatte die Tante ihre Unterhaltung mit Oskar beendet, als auch schon Emmi hereingesprungen kam und in großer Aufregung rief: „Tante! Tante! Sie gehen alle in die Erdbeeren, ein ganzer Trupp, darf ich noch mit? Sag doch schnell ja, ich kann jetzt nicht zur Mama, und es hat Eile."
„Geh schon, aber komm nicht spät heim."
Emmi war bereits draußen.
„Ich auch! Ich auch! schrie Rikli und lief der Schwester nach. Aber Emmi war in zwei Sätzen die Treppe hinunter und rief zurück: „Nichts! Nichts! Du kannst nicht mit! Im Walde hat’s Käfer und rote Schnecken!
Rikli kehrte schleunigst um, und zum Ersatz für das entgangene Vergnügen wollte es nun seine bedauerliche Geschichte erzählen.
In diesem Augenblick ging drüben die Tür auf, man hörte Schritte und Stimmen, kurz darauf rollte der Wagen wieder fort.
Jetzt trat die Mutter ein, sehr erregt von dem eben Erlebten. Sie musste gleich der Tante, ihrer Schwester, davon erzählen, hatten sie ja doch von jeher Freud und Leid miteinander geteilt —! Nachdem sie die Kinder hinausgeschickt, berichtete sie, welch tiefe Teilnahme Frau Stanhope und ihr krankes Töchterchen ihr eingeflößt hätten. Das Mädchen sehe aus, als ob es nur noch halb der Erde angehöre; die Mutter aber suche sich selbst zu täuschen mit dem Trost, nur die Reise habe ihre Nora so sehr angegriffen, dass sie nun gar zu blass und durchsichtig aussehe. Jetzt in der frischen Bergluft werde es gewiss bald anders werden, darauf habe sie ihre ganze Hoffnung gesetzt.
Soweit hatte die Frau Doktorin berichtet, als ihr Mann von seinen ärztlichen Besuchen heimkam. Augenblicklich ging sie ihm entgegen und benachrichtigte ihn von der Ankunft der beiden Fremden. Der Doktor machte sich auch gleich wieder auf den Weg, um seinen ersten Besuch bei der neuen Patientin abzustatten. Erst spät am Abend kehrte er wieder zurück. Seine Frau und seine Schwägerin erwarteten ihn mit Spannung; sie