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Vorspiel: Theaterstück
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Vorspiel: Theaterstück

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In Vier Juden auf dem Parnass ließ Carl Djerassi vier Geistesgrößen des 20. Jahrhunderts - Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Gershom Scholem und Arnold Schönberg - ins Gespräch eintreten. Durchwegs in direkter Rede verfasst, schrieb er eine unkonventionelle, nichtsdestoweniger sorgfältig recherchierte Biographie, von der ausgehend Djerassi nun den Sprung zu seinem nächsten Werk getan hat: Das Personal für sein ebenfalls in Gesprächsform gestaltetes Vorspiel ist nicht minder illuster: Theodor W. und Gretel Adorno, Hannah Arendt und Walter Benjamin - wobei Arendt und Adorno eine heftige gegenseitige Abneigung ebenso verbindet wie ihre tiefe Bewunderung für Walter Benjamin. Ein ominöses Fräulein X macht den furiosen Reigen rund um Philosophie und Politik, berufliche und persönliche Eifersucht komplett.
So nimmt sich Djerassi zwar in seinem Werk viele literarische Freiheiten heraus, aber doch: So oder ähnlich könnte es gewesen sein.
LanguageDeutsch
PublisherHaymon Verlag
Release dateJul 12, 2013
ISBN9783709975039
Vorspiel: Theaterstück

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    Vorspiel - Carl Djerassi

    Jahrhunderts

    Erste Szene

    1967. Teddie Adorno liegt auf einer „Freud’schen" Couch und gibt sich im Grunde freien Assoziationen hin, den Blick zur Decke gerichtet, während Gretel Adorno, mit Notizbuch und Bleistift in der Hand, ihm gegenüber sitzt. Neben ihr steht ein kleiner Tisch. Sie schreibt nicht mit.

    TEDDIE: Erstaunlich, dass so viele meiner Träume heutzutage mit Sex zu tun haben.

    GRETEL: Ich finde das überhaupt nicht erstaunlich.

    TEDDIE: Warum auch? Ich habe dir nie etwas verschwiegen.

    GRETEL: Das ist mir zu absolut, zu allumfassend.

    TEDDIE: Nun ... wie wäre es mit „faktisch nichts"?

    Gretel zuckt die Schultern, sagt aber nichts.

    TEDDIE: Na schön ... Schreib das auf. Ich träumte, ich sei in ein Bordell gegangen ... ein sehr schickes: roter Damast, Plüschsofas, Kronleuchter, dicke Teppiche. Ziemlich pariserisch ... was merkwürdig ist, wenn man bedenkt, wie selten ich in Paris war.

    GRETEL: Meinst du in Paris ... oder in Pariser Bordellen?

    TEDDIE: (beugt sich vor, von der Unterbrechung überrascht) Was bringt dich auf diese Frage?

    GRETEL: Du hast gesagt, dass du es veröffentlichen willst. (Hält das Notizbuch hoch.)

    TEDDIE: Irgendwann.

    GRETEL: Ich wollte mich nur vergewissern. Hast du nun Paris gemeint ... oder Pariser Hurenhäuser?

    TEDDIE: Ich sagte „Bordell". Das war kein gewöhnliches Hurenhaus.

    GRETEL: Ich lasse mich gern korrigieren, denn als großer Connaisseur kennt mein Teddie bestimmt den Unterschied. Also was jetzt? Paris oder Bordell?

    TEDDIE: Weder noch. Es war nur ein Traum. Aber fahren wir fort. Die Chefin sitzt hinter einem Schreibtisch – Louis Quatorze – und mustert mich durch ihre Lorgnette.

    GRETEL: Bist du sicher, dass es eine Lorgnette war und keine ganz normale Brille?

    TEDDIE: Rede nicht dauernd dazwischen, Gretel! Auf Details gehen wir später ein, wenn du alles getippt hast. (Kurze Pause.) Natürlich war es eine Lorgnette ... sie deutete ja damit auf mich. Und stell’ dir vor, was sie dann tat: Sie schiebt mir ein Blatt Papier hin und fordert mich auf, es auszufüllen. Es war ein Formular mit höchst erstaunlichen Fragen. Sehr persönlichen Fragen: welches Buch ich zuletzt gelesen habe ... mein Lieblingsfilm ... ob ich ein Musikinstrument spiele ... ob ich Tennis oder Skilaufen bevorzuge ... ob ich schnarche ... Ich las nicht weiter, sondern fragte sie, ob das ein Witz sei. „Nein, sagte sie, „das muss jeder neue Kunde ausfüllen.

    GRETEL: Das mit dem Schnarchen hätte ich ihr beantworten können. Und auch die Frage, ob dir Tennis oder Skilaufen lieber ist.

    TEDDIE: (in gereiztem Ton) Statt erstaunt zu sein, dass eine Bordellbetreiberin mich auffordert, einen Fragebogen auszufüllen, erklärst du mir, wie ich ihn zu beantworten habe?

    GRETEL: Weil du nicht anders gekonnt hättest, als den altbekannten Spruch über Sport hinzuschreiben: „Wenn ich nur das geringste Verlangen nach sportlicher Betätigung verspüre, lege ich mich sofort hin und warte, bis es verschwindet."

    TEDDIE: Stimmt genau. Zu schade, dass ich das nicht geträumt habe. Aber um fortzufahren. Ich teilte ihr mit, dass ich diese Fragen für grotesk hielte im Hinblick auf den Grund meines Kommens. „Irrelevant, erwiderte sie. „Bevor Sie eine Partnerin wählen können, müssen wir wissen, ob Sie unseren Ansprüchen genügen. Welchen Ansprüchen, fragte ich. „Jeglicher Art", erwiderte sie. „Ästhetischen ... dialektischen ...

    Gretel, die noch kein Wort aufgeschrieben und nur auf ihr Notizbuch gestarrt hat, blickt plötzlich auf und hält sich den Mund zu, um sich ein Lachen zu verkneifen.

    hermeneutischen ... psychoanalytischen ... linguistischen ... und natürlich hygienischen. Ich war so perplex, dass ich mit letzteren begann. „Welchen hygienischen Ansprüchen? Ob ich mir die Zähne putze oder täglich ein Bad nehme? Was sie dann sagte, verschlug mir wirklich die Sprache. „Beides betrachten wir als selbstverständlich ... ebenso die regelmäßige Benutzung eines Bidets."

    GRETEL: Aber du benutzt nie ein Bidet.

    TEDDIE: Das tun in Amerika nur wenige ... nicht einmal Einwanderer aus Deutschland.

    GRETEL: Hast du ihr das gesagt?

    TEDDIE: Natürlich nicht. Aber ich beging den Fehler ... das heißt in meinem Traum ... einfach zu sagen: „Kein Bidet! Punctum! Basta! „Aber Sie wissen doch hoffentlich, was ein Bidet ist?, fragte sie, nachdem sie mit ihrem Stift einen missbilligenden Vermerk auf dem Fragebogen angebracht hatte. Bevor ich sie auffordern konnte, keine derart idiotischen Fragen zu stellen, begann sie mir einen Vortrag zu halten. (Ahmt sarkastisch ihre Stimme nach.) „Ein Bidet dient zur Waschung der Genitalien und des Afters ... einschließlich der inneren Gesäßbacken, obwohl manche Leute gelegentlich auch ihre Füße und selbst ihre Kleinkinder darin waschen. Aber es wird niemals als Urinal benutzt. Niemals!" (Wieder mit seiner üblichen Stimme.) Dummes Arschloch!

    GRETEL: Aber, aber, Teddie. (Hält das Notizbuch hoch.) Du willst doch keine solchen Ausdrücke in deinem Buch haben.

    TEDDIE: Na schön. Wie wäre es mit „unverschämtes Luder"?

    GRETEL: Ich würde es abmildern und „arrogante Pute" sagen.

    TEDDIE: Wenn du mich ständig unterbrichst, vergesse ich noch den Rest des Traumes. (Kurze Pause.) Wie sich herausstellte, war das Thema Bidet damit keineswegs beendet. (Setzt sich auf und sieht Gretel an.) Weißt du, woher das Wort Bidet kommt?

    GRETEL: Fragst du das mich oder hat sie dich das gefragt?

    TEDDIE: Beides. (Kurze Pause.) Und, weißt du es?

    GRETEL: Aus dem Französischen.

    TEDDIE: (gereizt) Das ist ja wohl klar. Aber etymologisch gesehen.

    GRETEL: Keine Ahnung. Aber du wirst es mir bestimmt gleich mitteilen.

    TEDDIE: Reitpferd!

    GRETEL: Was soll das? Willst du mich beleidigen?

    TEDDIE: Beleidigen? Damit warst doch nicht du gemeint. Bidet kommt von bidet de selle ... Französisch für Reitpferd. Weil man sich rittlings darauf setzt wie auf ein Reitpferd.

    GRETEL: Wo in aller Welt hast du denn das her?

    TEDDIE: Von ihr.

    GRETEL: Ich glaube, ich habe genug von deinem Traum gehört.

    TEDDIE: Noch nicht. Du wirst nicht glauben, was sie als nächstes sagte. (Wieder mit verstellter Stimme.) „Besitzen Sie eine Schwanz-Wasch-Maschine? Wenn nicht, kann ich Ihnen das Modell empfehlen, das unsere Mädchen bevorzugen. Andernfalls verdreifacht sich unser Tarif für Fellatio."

    Lange Pause, während Gretel, noch immer schweigend, erfolglos einen Lachanfall zu unterdrücken versucht.

    Würdest du mir das Ganze bitte vorlesen.

    GRETEL: (blickt auf das Notizbuch) Das kann ich nicht.

    TEDDIE: Was heißt hier, das kannst du nicht? Missbilligst du es? Weil ich sie ein Arschloch genannt habe? Ich werde dem Rat meines für Träume zuständigen Lektors folgen und „Luder durch „Pute ersetzen. Ich habe nicht zum ersten Mal von Bordellen oder Prostituierten geträumt. Und bis jetzt hast du dich nie beschwert. Warum gerade heute?

    Gretel schüttelt nur den Kopf.

    Gretel! Heraus damit!

    GRETEL: Erinnerst du dich, was du neulich gesagt hast?

    TEDDIE: Ich sage jeden Tag eine Menge Dinge. Gib mir einen Tipp.

    GRETEL: (klappt das Notizbuch auf, blättert darin und liest dann vor) „Je enger aber Träume untereinander zusammenhängen oder sich wiederholen, um so größer die Gefahr, dass wir sie von der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können." Das, mein lieber Mann, ist ein Zitat. Wenn ich mich nicht sehr irre, wirst du es als Rechtfertigung benutzen, um deine Träume tatsächlich zu veröffentlichen. Übrigens ein Argument, gegen das dein Verleger bestimmt keine Einwände erheben wird.

    TEDDIE: Warum sollte er?

    GRETEL: Du hast Recht: Warum sollte er?

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