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Geister aus einer kleinen Stadt: Roman
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Geister aus einer kleinen Stadt: Roman

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In einer kleinen Stadt im Banat, an einem Wasserlauf, der sich gerne Fluss nennen lässt, wiewohl er nur ein Kanal ist, leben die Menschen Ende der dreißiger Jahre im harmonischen, nahezu idyllischen Miteinander, in einem "melting pot" von Sprachen und Religionen.

Im Haus des Arztes etwa sprechen die Eltern miteinander ungarisch, mit den Kindern deutsch, mit dem Zimmermädchen serbisch und mit den Patienten nach deren jeweiligen Bedürfnissen.

Leicht kommt der serbisch-orthodoxe Pope nicht damit zurecht, dass sich seine älteste Tochter ausgerechnet in den Sohn des jüdischen Apothekers verliebt hat, ebenso wie die jüdischen Bäckersleute und das deutsche Fabrikantenehepaar, deren Kinder, der singende Rechtsanwalt und das blonde Fräulein, zu heiraten beschließen. Doch man einigt sich, und noch nicht einmal die Juden gestehen sich ihre Sorgen darüber ein, dass in Deutschland ein Herr Hitler an die Macht gekommen ist.
Dann kommt der Krieg und nichts bleibt, wie es war.
Ivan Ivanji lässt die Menschen eines kleinen Balkanstädtchens wiederauferstehen, mit ihren Sehnsüchten und Träumen, mit ihren Vorlieben und unterschiedlichen Lebensstilen. Jeder von ihnen hat eine andere Strategie, sich auf die Zukunft einzustellen - doch kaum einer wird den Nationalsozialismus überleben.
LanguageDeutsch
PublisherPicus Verlag
Release dateNov 1, 2011
ISBN9783711750761
Geister aus einer kleinen Stadt: Roman

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    Geister aus einer kleinen Stadt - Ivan Ivanji

    Frieden

    Glück

    Die Mitte des Kinderzimmers beherrscht ein großer, weißer, mit buntem Wachstuch bedeckter Tisch. Auf dieses Tuch wird vorsichtig der weiße Zwergpudel Zucki gesetzt. Die beiden Kindergesichter, die sich über ihn beugen, sind für ihn der Beginn des Lebens. An das noch blinde Gedränge des ganzen Wurfes, mit dem er zur Welt gekommen ist, an das Balgen um die Zitze mit der warmen Milch, an diese ersten Augenblicke seines Lebens kann sich Zucki nicht mehr erinnern, nur im Traum kommt in ihm noch manchmal ein Gefühl der Wärme, des Geborgenseins und der Süße auf der Zunge auf, dann winselt er leise, aber zufrieden im Schlaf.

    Für die Kinder, Leo und Laura, ist Zucki vorerst ein weißes Wollknäuel mit drei schwarzen Punkten, zwei Augen und einer Schnauze, die das Gesicht bilden.

    »Er hat Pipi gemacht«, stellt Laura nachdenklich fest. Unter Zucki breitet sich auf dem Wachstuch eine kleine gelbe Pfütze aus.

    »Du holst jetzt einen Waschlappen aus dem Badezimmer und wischt das selber auf!«, sagt die Mutter belehrend. »Du hast versprochen, dich um den Hund zu kümmern, nicht wahr?«

    »Ich habe jedenfalls nichts versprochen!«, stellt Leo ernst fest.

    Auf der weißen Stellage steht Spielzeug, zwischen anderen Plüschtieren und Puppen drei Teddybären. Sie sind größer als Zucki. Zwei sind braun, einer weiß, wie der lebendige kleine Hund. Sie riechen nach Staub, aber der Pudel wird sich schnell daran gewöhnen und es sieht nicht so aus, als störte ihn das. Er beißt sich mit seinen spitzen, kleinen Zähnen in den Stoff hinein, schüttelt den Bären, als sei er stolz auf seine Kraft.

    Laura hat ein großes Puppenzimmer. Zucki muss sich auf das Bett legen. Er soll dort schlafen, das aber ist unbequem. Lieber sucht er einen Platz unter dem Bett des Kinderfräuleins, dort hat er Ruhe vor den Kindern, wenn er nicht mehr spielen will.

    Eine durchschnittliche, bürgerliche jüdische Familie in der Provinz. So, wie es meine auch war. Vater und Mutter sind Ärzte. Ein Sohn, eine Tochter, jetzt auch ein Hund. Kinderfräulein und Stubenmädchen schlafen in der Wohnung, die Köchin kommt früh am Morgen und geht nach dem Mittagessen, die Ordinationshilfe ist zwischen neun und eins und zwischen drei und fünf anwesend. Für die große Wäsche kommt zweimal wöchentlich die Waschfrau, die amtiert in der Waschküche im Keller. Sie ist ein bedeutender Faktor, denn der Herr Doktor wechselt sein Hemd dreimal täglich, am Morgen, nach dem kurzen obligatorischen Nachmittagsschlaf und nach dem Abendessen, wenn er noch ausgeht, und das ist jeden Abend der Fall. Er braucht auch zwei Pyjamas am Tag, denn auch zwischen zwei und drei nach dem Mittagessen zieht er sich aus, um sich niederzulegen, und wieder an, für die Patienten. Und dreimal täglich holt er sich auch eine neue Fliege oder Krawatte aus einem besonderen Fach in seinem Schrank.

    Ein kleines Automobil hat man natürlich auch.

    Heute frage ich mich, war diese Familie glücklich? War sie sich ihres Glücks bewusst? Glück? Was Glück gewesen ist, erfahren die meisten, die es betrifft, erst wenn es zu Ende geht. Zu Ende gegangen ist. Man dachte nicht darüber nach, aber wäre man gefragt worden, hätte man wohl gesagt: Glück? Wieso? Alltag! Keine eigene Villa, kein Großgrundbesitz mit Schloss in der Puszta, keine Äcker oder Obstgärten, keine Fabriken, keine Aktien. Am Stadtrand ein Garten mit Häuschen, das an einen Eisenbahner weitervermietet ist. Der Herr Doktor lässt dort Spargel und Erdbeeren für sich ziehen. Obwohl es der Boden im Umfeld durchaus hergegeben hätte, sind Spargel im Banat weitgehend etwas Fremdes, was der Bauer nicht kennt, will er weder fressen noch aufziehen, der Herr Doktor aber hat in Würzburg und Leipzig studiert und sich das Spargelessen in der Saison angewöhnt.

    Alle sind gesund, die Familie, das Personal, der Hund. So ist es, der Herr sei gelobt! Man lebt. Ist das denn keine Selbstverständlichkeit?

    Zucki fügt sich in das Alltagsleben der kleinbürgerlichen Doktorfamilie, wie Hunde eben alle Umstände, die das Leben so mit sich bringt, annehmen. Annehmen oder ertragen? Das kommt manchmal auf dasselbe heraus. Sie sind kein Spielzeug. Allerdings sind sie Eigentum, so wie es Sklaven waren, aber ich glaube nicht, dass sie sich einbilden, es wäre besser, Mensch zu sein.

    Bald wird Zucki stubenrein sein. Was man so darunter versteht. Welche Menschen für welche Gesellschaft als stubenrein gelten, ist eine andere Frage.

    Zucki unterscheidet Menschen danach, wie sie riechen, aber auch nach ihrem Benehmen ihm gegenüber. Ein Hund hat ein sichereres Gefühl dafür, ob ihn jemand mag oder nicht, als ein Mensch. Der Mensch ist im Prinzip etwas weniger davon abhängig, ob er geliebt oder zumindest geduldet wird. Im kleinen Ort, in dem Zucki neben Laura und Leo und ihren Eltern, den Doktors, aufwächst, gelten zum Beispiel Zigeuner nicht als stubenrein, sprich salonfähig. Juden schon. Zumindest unter einander und unter Freunden. Vorläufig jedenfalls.

    Zucki weiß nicht, was Juden sind. Durch schnüffeln sind sie nicht von den anderen Menschen, den Ariern, zu unterscheiden. Die Kinder wissen von diesem Problem auch nichts. Anfangs nichts. So manches im Leben erfährt man erst allmählich.

    Im Speisezimmer lebt in seinem Bauer ein Kanarienvogel namens Mandi. Er darf frei herumfliegen, flattert oft auf den Esstisch, um Brotkrümel aufzupicken. Einmal wollte er aus einem Wasserglas trinken und stürzte kopfüber hinein, wenn es Leo nicht rechtzeitig bemerkt und ihn herausgezogen hätte, wäre er jämmerlich vor aller Augen ersoffen. Zutraulichkeit kann in Unvorsichtigkeit ausarten und manchmal lebensgefährlich werden. Nicht nur für Kanarienvögel. Goldfische haben es wenigstens in dieser Hinsicht leichter. Im Unterschied zu den Vögeln können sie in der Luft der Wohnung auf keinen Fall herumschwimmen. Sie sind in ihrem kleinen Glaskasten oder ihrer Glaskugel frei, ungestört, allerdings auf Menschen angewiesen, sonst ersticken oder verhungern sie.

    Leo füttert in einem Einmachglas einen kleinen grünen Laubfrosch. Da ist auch eine winzige Leiter drinnen. Man hat ihm gesagt, wenn der Frosch ganz oben auf den höchsten Sprossen steht, wird das Wetter schön, wenn er unten hockt jedoch schlecht.

    Im Haus spricht man drei Sprachen, die Eltern miteinander ungarisch, mit den Kindern deutsch, mit dem Kinderfräulein und der Köchin deutsch, mit dem Zimmermädchen serbisch, mit der Ordinationshilfe wieder ungarisch, mit den Lieferanten, auf dem Bauernmarkt, beim Einkauf, auf der Straße, in der Schule und auf Ämtern serbisch, mit den Patienten wie sie wollen. Im kleinen Kreis mischt man die Sprachen auch zum Scherz oder weil das eine oder andere Wort im Augenblick und Kontext besser klingt. Im Serbischen existiert ein Verbum, nemati, was damit gesagt wird, muss man in allen anderen Sprachen komplizierter ausdrücken, nämlich mit nicht haben, auf Deutsch gibt es nicht einmal ein besonderes Wort für den Tag, der demnächst folgt, man muss ihn Morgen nennen, was ja auch die Frühzeit, Tagesbeginn, bedeutet. Andererseits hat die serbische Sprache keine eigenen Wörter für Zehen, man muss die Finger auf den Füßen sagen. Dafür gibt es ein eigenes Verbum für Schuhe anziehen, nämlich obuvati se. Die serbische Sprache kennt das Wort feig nicht. Man kann sagen, jemand sei ein Feigling, aber als Eigenschaftswort existiert feig einfach nicht. Hat es mit den Charaktereigenschaften der Völker zu tun, dass sie bestimmte Wörter besitzen oder nicht?

    Dasselbe Wort – auf Deutsch Mädchen, auf Serbisch devojka, auf Ungarisch leány, auf Englisch girl, auf Französisch fille – klingt für mich so verschieden, als könnte es sich nicht auf dieselben Personen weiblichen Geschlechts und sehr jugendlichen Alters beziehen.

    Mit dem Hund spricht die Familie übrigens deutsch, wie zu Hause mit den Kindern.

    Respektspersonen grüßt man mit Küßdiehand, was ausgesprochen wird, als sei es eine einzige Silbe, oder auf Serbisch ljubimruku, Ungarisch kezitcsokolom, oft aber, wenn man nicht weiß, welche Sprache gerade passend ist, einfach zum Scherz oder nur unüberlegt, blitzschnell alles heruntermurmelnd, Küßdiehandljubimrukukezitcsokolom

    Zucki ist das egal. Hunde lernen zwar bestimmte Wörter, aber keine Sprachen, sie verstehen die Stimmen der Menschen und ganz besonders feinfühlig die Stimmung, die jeweils in der Luft schwebt, insbesondere, wenn sie etwas direkt angeht. Zucki begreift sozusagen mit der Erreichung seiner Stubenreinheit als einer Art von Reifeprüfung bereits alles, was Spaziergang, Essen und die gewünschte Folgsamkeit angeht.

    Hunde untereinander haben ihre Körper- und Duftsprache. Sie verrichten an den Bäumen nicht nur ihre Notdurft, sondern hinterlassen auch sehr konkrete Botschaften. Ihre Exkremente sind ihr Alphabet. Sie verstehen einander sofort, ohne Unterschied der Herkunft, der Rassen und unabhängig davon, in welcher Menschensprache sie ihre Befehle erhalten.

    Der Herr Doktor fährt einen Steyr 55, einen relativ bescheidenen Wagen, aber der Herr Holzwarenhändler besitzt bereits einen Mercedes und der Herr Direktor der Zuckerfabrik sogar einen Packard. Der Herr Pfarrer mag keine Automobile, er lässt sich in einem prächtigen Wagen mit zwei Schimmeln kutschieren.

    Hinter der hinteren Sitzbank im kleinen Steyr befindet sich eine Ablage für Handtaschen, darauf wurde ein alter Lederpolster platziert und auf ihm darf Zucki sitzen. Der Hund wird oft mitgenommen und an den verschiedensten Orten freigelassen, um zu erledigen, was er sich mit seiner Stubenreinheit nur für auswärts angewöhnt hat. Unterwegs sitzt er stolz, aufrecht auf seinen Hinterpfoten, purzelt aber manchmal, wenn plötzlich abgebogen oder gebremst werden muss, hinunter. Deshalb warnt man ihn, wenn möglich, schon vorher:

    »Zucki, Kurve!«

    Diese Wörter lernt der Hund schnell und legt sich dann folgsam nieder, um nicht vom Polster geschleudert zu werden. Auf Serbisch bedeutet das sehr ähnliche Wort kurva allerdings etwas ganz anderes, nämlich Hure. Zucki kann die Bedeutung dieses Begriffes nicht erfassen, würde sich auf den Befehl kurva genauso hinlegen wie auf Kurve. Missverständnisse sind zwischen den Menschen genauso unvermeidlich wie Verständnisvermögen bei Hunden.

    Einmal steht am Straßenrand ein Mann mit großem, emporgezwirbeltem Schnurrbart, der mit der linken Hand einen riesengroßen Wolfshund führt, mit der rechten jedoch einen weißen Stab hält, auf dem eine gläsern blitzende, hellblaue Kugel und einige bunte Quasten befestigt sind. Als das Auto mit dem Doktor, dem Sohn und dem Hund hinter der Hinterbank langsam vorbeifährt, lüftet er seinen schwarzen Hut mit breiter Krempe und der Herr Doktor grüßt freundlich lächelnd zurück:

    »Guten Tag!«

    »Guten Tag, Herr Doktor!«

    »Wer ist das?«, fragt Leo.

    »Der Zigeunerkönig!«

    »Ein König?«

    »Nun, so nennt man sein Amt, verstehst du? Er ist eine Art Vorsitzender der hiesigen Zigeuner …«

    Welpen entwickeln ihren Charakter ähnlich wie Menschenkinder, und dass Hunde einen Charakter haben, darf wohl nicht in Frage gestellt werden. Außerdem hängt viel von der genetischen Herkunft ab. Bei den Tieren darf und soll man von Rassen sprechen, was sich für Menschen eigentlich nach Hitlers Kriegen nicht mehr schickt. Ein Zwergpudel kann sich nun einmal nicht mit denselben Eigenschaften durchs Leben schlagen wie ein Bernhardiner. Und ein Deutscher? Und ein Jude? Und ein Zigeuner? Besitzen sie dieselben oder unterschiedliche Eigenschaften, mit denen sie ihre Probleme meistern?

    Zucki befindet sich von seinem vierbeinigen Standpunkt aus gesehen in einer vorbildlichen Familie. Nie wird geschrien. Leo und Laura sind als Bub und Mädchen und mit einem Altersunterschied von fünf Jahren geschlagen, ohnehin zwei verschiedene Welten. Der Junge fühlt sich erhaben über Kleinkinder, Kleinhunde und alles, was auf dieser großen Welt kleiner ist als er, das Mädchen hingegen sucht sich noch einen Kreis, in dem sie nicht die Jüngste und Dümmste, sondern die Zarin sein kann. Als Untertanen bieten sich nur Puppen, Teddybären und Zucki an, aber Zucki ist ein lebendiges Wesen und demzufolge als Untertan eines Tyrannen – oder einer Tyrannin – besser geeignet als irgendein Spielzeug. Hunde sind oft Masochisten und lassen sich herumkommandieren und unartgerecht behandeln, wenn sie dafür nur ihre Streicheleinheiten bekommen. Und die Juden in Europa?

    Hunde begreifen, wer etwas von Bedeutung ist. Obwohl er sich wenig um den Hund kümmert, wird der Herr Doktor bald auch von dem Pudel als Häuptling anerkannt. Die Rangordnung ist klar, auch wer zur »Familie« und wer zum »Personal« gehört. Selbst als Schoßhund weiß man, wie man sich zu wem zu verhalten hat. Die Köchin, Frau Luise, ist trotzdem eine besonders hoch geachtete und liebe Person, denn gefüttert wird bei ihr in der Küche, sonst muss man betteln gehen, und es ist nun einmal auch bei Tieren so, wie es der große Dichter festgestellt hat: Zuerst kommt das Fressen und dann kommt die Moral.

    Wenn es Herbst wird, stehen auf der Hauptstraße Stände mit frischem Popcorn und Maronen, die in Stanitzel aus Zeitungspapier verkauft werden. Es gibt Abfälle. Zucki liebt auf den Asphalt gefallenes Popcorn genauso wie zu Hause die Haut der ungarischen Salami. Begeistert ist er im Sommer auch von weggeworfenen Waffeln, die mit dem Speiseeis verkauft worden sind. Leo liebt Zitroneneis, das er auf der Hauptstraße bei Mechmet, einem Albaner, kauft. Maronen, die man Edelkastanien nennt, werden ebenfalls auf den Straßen gebraten, nicht selten fallen einige auf die Straße, aber die frisst Zucki überhaupt nicht.

    Im Winter ist der Schnee sehr hoch und schmerzlich für die armen Pfoten, schlimmer noch aber pickt das ausgestreute Salz, das Vereisungen des Trottoirs verhindern soll. Man muss sich jedoch als Hund dem Unbill des Lebens fügen. Als Mensch auch. Als Jude erst recht.

    Ein mutiger Hund ist Zucki sicher nicht. Wenn unbekannter Besuch ins Kinderzimmer tritt, bellt er zwar wie toll, verkriecht sich aber sicherheitshalber unter das Bett des Kinderfräuleins. Zwergpudel sind von der Erbanlage her keine besonders tapferen und selten beißwütige Tiere. Sie haben es in ihrer Geschichte auch gar nicht nötig gehabt, als Kampfmaschinen sind vom Menschen andere Artgenossen ausgebildet worden.

    Ähnliches kann man wohl auch von den Juden sagen. Zumindest in Europa vor dem großen Krieg. Sie waren wahrlich keine Makkabäer. Das waren andere Zeiten, als sich Judas und seine vier Brüder vor weit mehr als zweitausend Jahren in Judäa gegen die Seleukiden in den Kampf mit dem Aufruf stürzten »Mi kamokha baelim?« – »Wer bist du unter den Göttern?« – und so den Beinamen Makab, oder, wie man das heute schreibt, Makkabäer, erhielten. Damals galt es, das eigene Land zu verteidigen. Jerusalem! Diese Leute waren keine zahmen Haustiere, sondern richtige Raubtiere in freier Wildnis. Hier auf unserem Kontinent in den jüngsten Jahrhunderten schien es allerdings nun einmal klüger, sich wie eine Art manchmal getretener Hunde zu benehmen. Man wäre vielleicht ganz gerne Schoßhund geworden, nur um kein Straßenköter zu sein. Deshalb diente man sich mitunter mit Hundegebärden an, um ein klein bisschen beliebt zu sein. Es gelang sogar manchmal, wenn man es richtig gelernt hatte.

    Was ein Hund zu lernen hat, lernt er stets von einem älteren Hund. Vor allem die Körpersprache. Wenn man keine Worte hat, sind Gebärden ausdrucksvoller als Gekläff und Knurren. Was Zucki als Hund wissen musste, brachte ihm Nachbars Dackel Waldi bei. Vor allem, dass man sich vor Stärkeren auf den Rücken legt und den Bauch fremder Gnade freigibt. Der nicht viel größere, aber stämmige und kräftige Dackel stieß den Zwergpudel mit harter Schnauze so lange um, bis er es begriffen hatte und von selber tat.

    Der Herr Doktor mit seinem ungarischen Nachnamen und seiner sichtlich mosaischen Herkunft hatte im Weltkrieg, der später »der Erste« heißen sollte, als österreichisch-ungarischer Fähnrich ausgerechnet an der Front in Albanien dienen müssen. Im neuen Staat, in den seine Heimatstadt hineingeraten war, bemühte er sich, serbischer Reserveoffizier zu werden, was wohl als ähnliche Geste zu verstehen ist wie das Bauchpreisgeben beim Hund. Als Arzt wurde man nach einem kurzen Kurs Sanitätsleutnant und nach einigen weiteren Jahren automatisch Oberleutnant. Dem konnte man sich als anständiger Staatsbürger nicht entziehen. Zum Hauptmann 2. Klasse – wie sich der Rang nannte – wurde man freilich erst befördert, wenn man ein besonderes Examen bestand. Das war nicht mehr verpflichtend, danach aber erhielt man auch den

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