Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Vanitas oder Hofstätters Begierden
Vanitas oder Hofstätters Begierden
Vanitas oder Hofstätters Begierden
Ebook161 pages2 hours

Vanitas oder Hofstätters Begierden

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2005

Nicht Liebe war es, was den aufstrebenden Juristen Alois Hofstätter in die Ehe mit der Schauspielerin Olga trieb, der ein ganzes Stück älteren Witwe eines verstorbenen Klienten: es waren ihr Ansehen und ihr Vermögen, ihre leicht angereifte erotische Ausstrahlung und der nicht zu vernachlässigende Umstand, daß sie ein Kind von ihm erwartete. Hofstätters wahre und ewige Liebe gilt der Kunst und seine Leidenschaft dem Spiel, seit er kurz und glücklos einem jungen Mann verfiel, der seine Begierden nicht nur auf sich selbst, sondern auch ins Kasino zu lenken wußte. Die Gattin hält ihn schuldenfrei, und das Kind ist mittlerweile zu einem Jüngling herangewachsen, an dem sich die Sinne des praktizierenden Ästheten schadlos halten können, an dem sie einen Ausgleich finden für die körperlichen und seelischen Zumutungen der welkenden Gefährtin.

Doch das Gefüge der großbürgerlichen Scheinwelt, welche die dekadenten Eitelkeiten der beiden befriedigt, ist brüchig: im Spannungsverhältnis zwischen äußerlicher Repräsentation und dem inneren Ungenügen, ja der immer weniger zu unterdrückenden Feindschaft, wachsen sich die Konflikte eines "falschen" Lebens zu einem erbitterten Machtkampf aus, der schließlich in die Katastrophe führt.

Mit schonungslosem Blick zeichnet Evelyn Grill das Porträt eines ebenso kaltschnäuzigen wie bemitleidenswerten Dandy, dem die Ästhetisierung des Alltags die Erziehung der Gefühle ersetzt. Die angemessene Empörung über das amoralische Verhalten ihres Protagonisten liefert die Autorin nicht mit; sie muß Sache des Lesers bleiben.
LanguageDeutsch
Release dateSep 2, 2013
ISBN9783701743810
Vanitas oder Hofstätters Begierden

Read more from Evelyn Grill

Related to Vanitas oder Hofstätters Begierden

Related ebooks

General Fiction For You

View More

Related articles

Reviews for Vanitas oder Hofstätters Begierden

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Vanitas oder Hofstätters Begierden - Evelyn Grill

    22

    1

    Wieder stand er mit dem Gesicht gegen das Glas wie mit dem Rücken zur Wand. Er hörte Gepolter, lallendes Sprechen, Stöhnen, einen dumpfen Aufschlag. Hofstätter drehte sich nicht um, er sagte es sich wieder, er hätte keinen Sohn in die Welt setzen sollen. Die Natur hätte es nicht zulassen dürfen. Aber was vermochte die Natur? Gegenüber der Kunst war sie machtlos. Davon war er überzeugt, seit er in Wien zuerst den Alten Meistern und dann Olga Diotima in die Hände gefallen war. Ihre Erscheinung hatte ihn an Tizians Zigeunermadonna erinnert, die ihn mit ihren sanften und doch glühenden Augen bezaubert hatte, und er hatte sich an die Stelle des nackten Knaben gewünscht, den sie in Händen hielt, eigentlich vor sich aufstellte, dem Beschauer geradezu darbot. Obwohl der Blick der Madonna auf dem Bild träumerisch in die Ferne ging, fühlte er sich doch von ihm getroffen, und es drängte ihn, sich täglich im Kunsthistorischen Museum diesem Blick zu stellen. Damals war er noch häufig im Café Imperial anzutreffen, in dem man ihn beim Namen nannte, über seine Vorlieben Bescheid wußte und ihn aufmerksam bediente. Er schätzte die Diskretion des Personals, er genoß den Duft des Kaffees, die Geräusche beim Auseinanderfalten der Zeitung, das leise Klacken der Kaffeetassen, er vertiefte sich in die in- und ausländische Presse und war für kurze Zeit mit sich und Österreich im Einklang. Hier im Kaffeehaus wurde es ihm wieder mit einer sentimental gefärbten Freude bewußt, daß er noch immer österreichischer Staatsbürger war, der freilich längst in Deutschland lebte. Nur in diesem entspannten, geistig halb präsenten Zustand konnte es dem eleganten 30jährigen Juristen, der sich im Grunde dem nihil admirari des Dandys verschrieben hatte, geschehen, daß er dem folgenschwersten Irrtum seines Lebens erlag.

    Es klirrte, Scherben. Er hörte Olga rufen: Mario, Liebling, nicht doch!

    Mario war ein schöner Junge. Schon als Baby war er einzigartig. Als er geboren wurde, sahen alle in ihm seinen Sohn. Aber Hofstätter entschied für sich, kein Vater, nur der unfreiwillige Samenspender zu sein. Streng juristisch gesehen hätte er die Kindesmutter sogar des Samenraubs bezichtigen können.

    Nun rief sie ihn. Alois! Er hieß nicht mehr Alois. Niemand sonst nannte ihn heute noch Alois. Schweine-, Kuh- und Schafhirten, Dorftrottel hießen Alois in Bayern und in Österreich, oder Söhne von Volksschullehrern. Er kannte sich da aus. Alois ist ein ordentlicher Name, du kannst ihn dir mit Ypsilon geschrieben vorstellen, dann denkt man sich einen geistlichen Würdenträger, einen Erzbischof vielleicht, so höhnte sie früher. Alois war sein Fensterstehname, damit zeigte ihm Olga ihre Geringschätzung. Sie verachtete ihn, seit er ihr zum Opfer gefallen war, und er haßte sie, weil Verachtung nur mit Haß beantwortet werden konnte.

    Alois! Olgas geschulte Stimme, die einschmeichelnd und samten klingen konnte, schrillte, wenn sie ihn rief.

    Er rührte sich nicht, denn er nannte sich Louis. Dr. Louis A. Hofstätter, das stand in seinem Paß.

    Was war das, ein Sohn? Ein Wunder behauptete man. Olga Diotima war immerhin schon fünfundvierzig, als sie Mutter wurde. Man gratulierte, man feuerte Böllerschüsse ab. Louis A. Hofstätter hatte einen Nachfolger bekommen, der hatte die Tür zur Unsterblichkeit für ihn aufgestoßen; am Tage seines Ablebens würde der Sohn im Namen seines Vaters, des Spermendonators, weiterleben; das, Hofstätter mußte es zugeben, war ihm nicht gleichgültig. Jetzt – in seinem Rücken krümmte sich ein Wrack und stellte alles in Frage. Er hörte Olga telefonieren. Er drehte sich um.

    Im hohen Spiegel mit dem vergoldeten, klassizistischen Rahmen sah er ihren breiten Rücken, ihre ganze raupenartige Gestalt. Sie hatte den Telefonhörer am Ohr, mit dem anderen Arm gestikulierte sie. Mario lag rücklings, alleingelassen und leblos auf dem Pankok-Sofa, das Hofstätter vor Jahren aus dem Nachlaß eines Münchner Chefarztes ersteigert hatte und eines der wenigen Stücke war, die vor Olgas Augen Gnade und Aufnahme in ihre Wohnung gefunden hatten. Marios Gesicht war wächsern, er war schön wie ein gefallener Engel. Botticelli fiel Hofstätter ein, aber auch der süß-sinnliche Rossetti, für den er noch immer eine Schwäche hatte. Das Hemd aus Satin, das um die Brust seines Nachkömmlings sanfte Wellen schlug, erinnerte ihn an Watteaus Gilles. Auf der engen Hüfthose aus glänzendem Stretchsamt entdeckte der Betrachter Flecken mit ausgefransten Rändern, die an den Grenzen der Farbfläche faserig ineinandergriffen und eine diffus strahlende Atmosphäre erzeugten. Obwohl er wußte, daß es sich bei den Flecken wahrscheinlich um verschütteten Whisky oder Wein handelte, war es ihm, als hätte er eine Arbeit von Marc Rothko vor sich. Schon als er noch Kunstgeschichte studierte, hatte er sich angewöhnt, den Alltag durch die Kunst zu ästhetisieren. Wenn ihm eine Entsprechung des Alltäglichen in der Kunst gelang, hatte er das angenehme, wenn auch flüchtige Gefühl der Genugtuung eines Puzzle-Legers, der ein entsprechendes Teilchen für ein rätselhaftes Bild gefunden hatte, eine Empfindung, die sein Dasein augenblickshaft zu rechtfertigen schien.

    Das eine Bein des Bewußtlosen ruhte ausgestreckt auf den Polstern, das andere baumelte abgewinkelt herunter. Sein schmaler Fuß im beigen Slipper berührte den weichen Teppichflor. Die Gucci-Hose saß straff. Im Licht der Morgenröte. Hofstätter fühlte sich an den Schlaf des Endymion erinnert.

    Marios Hose war zu eng, sie machte seinen Unterleib nackt.

    Endymion. Niemals würde Hofstätter Girodet-Triosons großformatiges Ölbild vergessen. Es zeigte den auf einem Leopardenfell wie hingegossen daliegenden Schläfer. Links daneben zog Eros ein paar Zweige beiseite, und die Mondgöttin bestrahlte den nackten Körper ihres Geliebten. Er verstand sehr gut, daß Selene, das liebestolle Nachtlicht, den Gedanken nicht ertragen konnte, daß ihr angebeteter Erdling einmal alt werden und sterben müsse. Das Kunstwerk war Hofstätters Lieblingsbild gewesen, es hing jahrelang über dem Pankok-Sofa, auf dem nun Mario eine ähnliche Pose wie der dort dargestellte Endymion einnahm. Nun allerdings befand sich über dem Hingestreckten nicht mehr sein schöner, androgyner Jüngling, sondern die schauerliche Große Vanitas von Stoßkopff. Sie war kleiner als Der Schlaf des Endymion, den Olga bei Sotheby’s gegen seinen Willen, aber seinetwegen hatte versteigern lassen. Nun hing es im Louvre. Mit dem Preis, den es erzielt hatte, konnte Olga einen großen Teil der Anderkonten auffüllen, die er zur Begleichung seiner Spielschulden geplündert hatte. Die schmutzigen Ränder auf der weißen Tapete ließen Hofstätter den Verlust nicht vergessen.

    Marios Gucci-Hose war ein Meisterstück.

    Statt des unsterblich schönen Endymion mußte sich Hofstätter nun von dem berühmten Stilleben tagtäglich die Eitelkeit allen Tuns vor Augen führen lassen:

    Kunst, Reichtum, Macht und Kühnheit stirbet

    Die Welt und all ihr Tun verdirbet:

    Ein Ewiges kommt nach dieser Zeit

    Ihr Thoren, flieht die Eitelkeit.

    Gucci ist doch der Michelangelo unter den Designern, dachte Hofstätter. Olga war noch am Telefon. In ihrer Stimme lag etwas Dringliches, und das nicht ohne Grund, denn hier wartete der durch eine Alkohol- oder Medikamentenvergiftung ohne Besinnung daliegende junge Mann auf ärztlichen Beistand. Hofstätter kniete sich vor das Sofa. Er beugte sich über die Samthose seines Sohnes.

    Das Telefonat endete abrupt. Schon hatte er Olgas Gesicht ganz nah vor sich, ihre dunkel glänzenden Augen und darunter die schrumpeligen Tränensäcke, ihre, wie er fand, ganze greisenhafte Häßlichkeit. Er stellte sich das Gesicht seiner Frau in seinem grausamen Verfall von Lucian Freud gemalt vor. Er richtete sich auf und federte mit langen Schritten über den weichen Teppich wieder ans Fenster. Olga zog hinter ihm den schweren Vorhang zu. Das machte ein leises zischendes Geräusch. Schon kam das Rettungsauto. Schritte, Gesprochenes vernahm er gedämpft.

    Jetzt sah er hinter den Hahnentürmen des Münsters den Tag heraufkommen, das Licht strich über das hohe Dach des Kirchenschiffs; er konnte nicht umhin, an Monets Kathedrale von Rouen im Sonnenlicht und bei Sonnenuntergang zu denken, die er im Musée d’Orsay hängen wußte, und, da er sich schon mit seinen Vorstellungen in Paris befand, auch an die Kristallüster im Ritz. Die allerdings erinnerten ihn daran, daß er für Olga und sich die Koffer packen mußte und seinen Smoking nicht vergessen durfte.

    Auf dem Platz vor dem Haus wurde es lebendig, Türen wurden zugeschlagen, der Ambulanzwagen fuhr ab; er hörte das Folgetonhorn noch lange, als er das Blaulicht längst nicht mehr zucken sah, er schob den Vorhang zur Seite und trat ins Zimmer, es war leer. Er machte einige ausholende Schritte, weil der Raum ihn dazu einlud und der weiche Teppich; aus dem hohen Spiegel kam er sich entgegen. Er machte sich ein Kompliment. Er hatte die Figur eines Dreißigjährigen. Er hatte die Figur seines Sohnes. Alois und Mario waren Zwillinge. Wie eine Amöbe fühlte er sich: durch Teilung verdoppelt.

    2

    Olga legte ihm die Hand auf die Schulter. Alois! Er fuhr herum.

    Wir haben keine Zeit zu verlieren, sagte sie, als er sich ihr mit einem Ruck zuwandte und ein Gesicht machte, als müsse er zum Begräbnis eines Freundes. Er folgte ihr ins Schlafzimmer. Aus dem Schrank holte er den Koffer und legte die Kleidungsstücke, die sie ihm wies, hinein. Im Bad suchte er nach ihren kosmetischen Utensilien. Er wußte, was sie brauchte, er war perfekt. Einstweilen saß sie zwischen schlanken, flackernden Kerzen vor dem großen Spiegel ihres Schminktisches, zeigte ihm den Rücken und betrachtete ihn durch das Glas.

    Alois! rief Olga. Er drückte beide Hände gegen die Schläfen.

    Alois, komm her!

    Er half ihr aus der Jacke, öffnete den Reißverschluß ihres Rockes. Er knöpfte die Bluse auf, viele Kugelknöpfchen zwängte er aus engen Knopflöchern. Nun war das Mieder, das ihren Leib panzerte und in Form preßte, abzunehmen. Er löste die Haken im Rücken. Er keuchte. Bist du krank? Er antwortete nicht und arbeitete weiter. Es waren dreiundvierzig Haken aus den Ösen zu zwängen, er hatte sie schon oft gezählt. Dann löste er das Korsett, das an manchen Stellen an der Haut zu kleben schien, von ihrem Körper. Zuerst massierte er die roten Striemen, die das enge Mieder auf ihrem Rücken ins Fleisch gedrückt hatte. Zwischen den Fettwülsten verschwanden seine Finger. Sie warf den Kopf in den Nacken, daß ihre schwarzgefärbten Haare auf die Schultern und über den Rücken fielen, inzwischen war er schon hinter ihr in die Knie gegangen und knetete das Fett ihrer Schenkel. Schließlich wandte sie sich um und erschreckte ihn wieder mit ihren mächtigen Brüsten und den kinderhandtellergroßen dunkelbraun pigmentierten Warzenhöfen. Er suchte ihren Nabel. Dann die Scham, die sich unter der herabhängenden Wamme wie unter einem Schurz versteckte. Dieser Frauenleib hatte in seinem Verfall eine irritierende Geräumigkeit ausgebildet. Die Topographie des gemeinen weiblichen Aktes war in ihm nicht wiederzufinden. Selbst die Venus von Willendorf, mit ihren Wülsten und Rundungen, konnte diesem Körper nicht als Vergleich dienen. Wenn Olga sich neigte oder streckte, suchten die Fettmassen unter der Haut nach einem neuen Schwerpunkt. Hofstätter hatte manchmal Angst, die Brüste, die mit seinen beiden Händen nicht zu bändigen waren, könnten sich durch eine Metamorphose in schlangenartige Würste verwandeln, sich um seinen Hals legen und ihn ersticken. Manchmal träumte er davon, diese schweren Fleischbeutel mit einem scharfen Messer abzutrennen und an Katzen oder Hunde zu verfüttern.

    Er hatte das Wasser eingelassen, der Badezusatz schäumte auf. Olga ließ sich in die Wanne gleiten. Als sie sich zurechtgebettet hatte, kniete er sich an die Wanne, schob seine Ärmel hoch, fuhr mit seinen Händen in den Schaum, der schwer nach Rosen duftete, und befolgte ihre Waschanweisungen. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr Gesicht drückte Wohlbehagen aus. Er streichelte sie, bis sie um sich schlug in ihrem Trog, sich wälzte und kreischte mit seinen Händen zwischen ihren Schenkeln, den Spiegel vollplanschte und sein Gesicht.

    Er half ihr aus dem Schaum, Venus Anadyomene! Wischte sie mit dem Badetuch ab. Furchte mit dem Frottee in jede Falte, legte die Schluchten trocken und lachte, weil es ein böser Vergleich war: Venus Anadyomene. Sie mochte sein Lachen nicht, deshalb konnte er nicht aufhören damit, es machte ihn nicht froh, aber lebendig, und er tupfte und wischte und strich die zerklüftete Landschaft dieses Greisinnenleibes trocken, den

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1