Von Armen Rittern, Falschen Hasen und Verlorenen Eiern: Gerichte, die sich einen Namen machten
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Book preview
Von Armen Rittern, Falschen Hasen und Verlorenen Eiern - Beate Engelbrecht
Über dieses Buch
Die Lektüre dieses Kochbuchs verführt zum Essen mit kundiger Zunge. Auch wenn man nicht allzu tief in die Töpfe schauen will: Ein Unterscheidungskriterium zwischen Mensch und Tier besteht darin, dass der Mensch neben Rohem auch Gekochtes isst. Wer könnte dem widersprechen, dass Tiere nicht kochen? Ein nicht minder wesentlicher Unterschied aber ist die Beherrschung der Sprache und die Entwicklung der Schrift. Dieses Kochbuch geht – nicht immer bitterernst – dem Zusammentreffen beider Fähigkeiten nach und erzählt die Geschichten hinter den »sprechenden« Rezeptnamen: dem Gulasch, der Bombardierung von Adrianopel, dem Schlesischen Himmelreich, den Faustschlag-Kartoffeln und rund hundert anderen.
Die Autorin
Beate Engelbrecht, geboren 1952, schloss ihr Studium der Ethnologie, Soziologie und Nationalökonomie mit Promotion ab. Sie arbeitet als Ethnologin, Filmschaffende und freie Autorin in Göttingen. Gemeinsam mit Ulrike Keyser veröffentlichte sie den Band »Mexikanisch kochen«.
Beate Engelbrecht
Von Armen Rittern, Falschen Hasen und Verlorenen Eiern
Gerichte, die sich einen Namen machten
Edition diá
Inhalt
Gerichte, die sich einen Namen machten
Die Geheimsprache der Speisen
Das Essen der Weisheit mit Löffeln
Das »kochende« Tier
Die Buchstabensuppe
Das Federbett der schönen Helena
Am Anfang war das Wort
Das Entstehen der Kochbücher
Wer macht die Namen der Gerichte?
Suppen
Goldene Jouch
Potage Parmentier
Sparschwein
Quer durch die Garde
Königinsuppe
Ratio
Mitternachtstraum
Vogelsberger Motten
Schabenschlamm
Wan-Tan-Suppe »Feuergott«
Geisha-Suppe
Ramadan-Suppe
Fleisch
Exaltiertes Schwein
Inquisitionsgericht
Höllenspeise
Saltimbocca
Schlesisches Himmelreich
Gulyás hús
Eisbein mit Sauerkraut
Manchamanteles
Fürstenspieß
Cordon bleu
Hünkar beğendı
Carpet-bag-Steak
Hackfleisch
Tofu nach Art der pockennarbigen Alten
Kadin göbeği
Falscher Hase
Flautas del Norte
Fisch und Meeresfrüchte
Miesmuscheln mit Reis
Angels on Horseback
Der Hering der Müllerin
Ägyptischer Zitronenfisch
Labskaus
Pastel com Diabo dentro
Apofo annto
Katerkiller
Unsterbliche Forellen
Geflügel
Blindes Huhn
Mole negro
In Salz versunkenes Hühnchen vom Ostfluss
Euro-Hähnchen mit Zehen
Pipis
Drei-Freunde-Curry
Berliner Bierhahn
Hühnerfleischwürfel nach Art des Gongbao
Akoko mmire
Getreide- und Reisgerichte
Bombardierung von Adrianopel
Yin-Yang-Reis
Arroz de Viúva
Moros con Christianos
Fiesta-Reis
Jan im Sack
Kartoffeln und Gemüse
Hadern
Imam bayildi
Polsterkartoffeln
Schusterpfanne
Himmel und Erde
Faustschlag-Kartoffeln
Leipziger Allerlei
Frijoles borrachos
Eier- und Teiggerichte
Ohrfeige
Kichererbsen-Couscous mit Rosinen
Arme Ritter
Maultaschen
Verlorene Eier mit Joghurt
Goi Cuon
Professorenvesper
Kalte Küche
Fisch-Sandwich
Schachbrettschnitten
Nordseewellensalat
Laubenpiepersalat
Bettelmann
Saucen
Bagna cauda
Teufelssauce
Ntorewa froe
Haushofmeistersauce
Arme-Leute-Sauce
Salatsauce Wüstenart
Chaudeau
Süß- und Nachspeisen
Olhos de Sogra
Mohr im Hemd
Sopa borracha
Alis Tante
Liebesbirnen
Volkskompott
Belle Marquise
Gebäck und Kuchen
Bienenstich
Toucinho de Céu
Damenzungen
Baisers
Nonnenfürzchen
Sonhos
Baba au Rhum
Tigerklauen
Dáktila ton kirión
Windbeutel
Papos de Anjo
Pé de Anjo
Quindim
Drinks
Fliegender Holländer
Pharisäer
Garantiegetränke
Sangue real
Alter Schwede
Drachen- oder Türkenblut
Irish Coffee
Fahrers Kraftstoff
Frühlingsmilch
Sommerfrische
Impressum
Gerichte, die sich einen Namen machten
Im Jahr 1850 entwickelte Eduard Pokorny eine – dem »Sag’s mit Blumen« verwandte – »Geheimsprache der Speisen«.
Die Geheimsprache der Speisen
»Ach, was soll ein junger Mensch mit Blumen machen? Sie werden welk, sie verlieren den Geruch, sie verdorren … Von Rosen wird kein Mensch satt …
Damit durch die angedeutete Speisen- und Getränkesprache aber nicht etwa fatale Missverständnisse entstehen und die zärtlichen Herzen durch den Kanal des Magens auseinandergebracht werden können, so wäre es sehr ersprießlich, wenn die Symbolik dieser Sprache eine allgemeine Verbreitung und Anerkennung finden möchte, mit anderen Worten, wenn sie recht bald die siebzehnte Auflage erreichte …
Blauer Fisch: Ich rechne auf Ihre Verschwiegenheit und Diskretion.
Stockfisch: Sieh, wozu du mich gemacht hast!
Faschiertes: Du schmollst?
Rindszunge: Sprich du für mich: Ich liebe dich.
Kuttelflecke: Sie sind ein Mann, der sich gewaschen hat.
Schweinefleisch mit Bier: Sie sind mir zu gemein.
Gesulzte Kalbsfüßeln: Ich will dich auf Händen tragen! Warum hast du mich denn im Magen?
Gezogener Strudel: O Spröder sprich, wann kommen wir ans Ziel? Ich werde nämlich alt, und du wirst mählich kühl.
Spanische Winde (leere): Es ist nichts hinter Ihnen. (Gefüllte, als Antwort): O ja, es ist was hinter mir.
Aal: Sie wollen mir entschlüpfen, Sie feiner Hecht.
Schmierkäs: Mund an Mund, Brust an Brust, hingegossen in ewige Lust.
Bärenpratzen: Hüten Sie sich vor meinem Gemahl!
Schwarzer Hase: Ich erwarte Sie mutig im Dunkeln der Nacht.
Chaudeau (Weinsauce): Dein Wesen betäubt mich.
Gerührte Eier: Unsere Seelen sind ineinander verschwommen.
Gerstel: Sieh, wie der Gram meine Wangen gebleicht hat!
Rote Rüben: Pfui, schämen Sie sich doch!
Pickelhering: Wollen Sie etwa Ihren Spaß mit mir treiben?
Omelette: Machen Sie doch keinen solchen Lärm wegen so einer Kleinigkeit.«
»Die Küche einer Gesellschaft ist eine Sprache, in der sie unbewusst ihre Struktur zum Ausdruck bringt, es sei denn, sie verschleiere nicht minder unbewusst ihre Widersprüche.« (Claude Lévi-Strauss, »Der Ursprung der Tischsitten«)
Das Essen der Weisheit mit Löffeln
Die Warnung aus dem 12. Jahrhundert vor Eselsfleisch, »das nach der Dummheit stinkt, die ihm innewohnt«, wurde von allen verstanden. Heute fehlt diese Spezialität auf europäischen Speisekarten. Die im selben Werk formulierte Empfehlung von Igelfleisch, »dessen Gesundheit sich auf den Esser übertrage«, stach nicht annähernd so heraus und blieb unerhört.
Die Esskultur ist ein Bestandteil menschlichen Verhaltens, die weit mehr beinhaltet als die Aufnahme von Nahrung zur Überlebenssicherung. Sie gehört zu den Bereichen der Kultur, aus denen wir Bewusstsein für unsere Identität schöpfen. Alles, was das kulturelle Leben ausmacht, ist bewusst oder unbewusst in ihr verwoben, und Religiöses, Rechtliches, Ökonomisches, Moralisches, Politisches oder Mythisches kommen in ihr zum Ausdruck. Nahrung dient der Befriedigung primärer Existenzbedürfnisse, aber auch der Ausübung sekundärer Kulturformen wie Kommunikation, Prestige, Geselligkeit oder der Gewährung von Gastfreundschaft. Schon Friedrich Nietzsche behauptete, Speiseordnungen seien zugleich »Offenbarungen über Kulturen«.
Nicht erst seit Hildegard von Bingens »Physica« aß und isst der Mensch Bedeutung. Die Vorstellung, mit jedem verschluckten Kaninchen stiege die eigene Sehkraft, jede einverleibte Antilope oder jeder verspeiste menschliche Feind stärke die eigene Schnelligkeit und Kraft, reicht bis in die Vorzeit. Selbst wenn der Mensch die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen hat, sein Mundwerk steht nicht still. Banal wie allumfassend: kein gemeinschaftsbildendes Ritual, zu dem nicht zusammen getrunken, gegessen und ebendies mit Bedeutung aufgeladen wird.
Um einmal nicht vom größten abendländischen Bedeutungsschmaus, dem Abendmahl, zu reden: Im Christentum reichte man zu Ostern, am Ende der