Exil auf Mauritius 1940 bis 1945: Report einer "demokratischen" Deportation jüdischer Flüchtlinge
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About this ebook
Andere jüdische Flüchtlinge wurden auf die Kronkolonie Mauritius im Indischen Ozean deportiert, wo sie fast fünf Jahre hinter Stacheldraht zubringen mußten. Bislang wurde das Schicksal dieser 1.581 Menschen, von denen fast jeder zehnte auf der Insel starb, und die Umstände ihrer Deportation noch nie untersucht.
Erstmals ist dieses dunkle Kapitel dokumentiert. Dazu wurden vom Autor europäische Archive, Einrichtungen in Israel, in den USA und auf Mauritius aufgesucht.
Die Zeugnisse belegen: Britische Behörden waren mitunter alles andere als hilfsbereit und kooperativ, wenn es um Menschen in Not ging. Zuweilen war die Krone sich selbst und ihren eigenen Interessen am nächsten.
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Book preview
Exil auf Mauritius 1940 bis 1945 - Ronald Friedmann
Impressum
ISBN eBook 978-3-360-50058-8
eBook-Lizenzausgabe des Verlags Das Neue Berlin, Berlin 2013
Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH
Neue Grünstr. 18, 10179 Berlin
© der Originalausgabe by edition ost, Berlin 1998
Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin erscheinen
in der Eulenspiegelverlagsgruppe
www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de
Das Buch
Nach mehr als einem halben Jahrhundert liegt erstmals eine geschlossene Darstellung der Deportation von anderthalbtausend jüdischen Flüchtlingen durch Großbritannien nach Mauritius vor. Angesichts des durch Deutsche verübten Holocausts und wegen anderer Völkermorde im 2. Weltkrieg mag dieser Vorfall zwischen 1940 und 1945 marginal sein – vielleicht erklärt sich daher, daß außer schriftlichen Zeugnissen in verschiedenen Archiven und gelegentlichen Bezügen in gedruckten Erinnerungen nichts und niemand an das Schicksal von 1.581 Juden erinnert, die vor Hitler nach Palästina flüchteten und auf der britischen Kronkolonie Mautitius, im indischen Ozean, fünf Jahre hinter Stacheldraht verschwanden.
Der Autor hat – nicht zuletzt aus familiärer Verantwortung – Archive und Orte des Geschehens aufgesucht, Zeugen befragt und die so gefundenen Mosaiksteine zu einem Bild zusammengefügt, das eine weiße Stelle in der Geschichte nicht nur deutscher Juden ausfüllt.
Der Autor
Ronald Friedmann, Jahrgang 1956, geboren und aufgewachsen in Berlin. Nach dem Abitur Studium der Lateinamerika-Wissenschaften in Rostock, danach Tätigkeit in Angola und von 1985 bis 1990 im Außenministerium. Nach 1990 Projektleiter »Juden in Treptow«. Lebt als freier Journalist in Berlin.
Unter den Internierten auf Mauritius befanden sich seine Großeltern und Tante Rita Friedmann, jetzt Deutsch.
Ronald Friedmann
Exil auf Mauritius 1940 bis 1945
Report einer „demokratischen"
Deportation jüdischer Flüchtlinge
Das Neue Berlin
Unter den Toten von Mauritius war mein Großvater Bernhard Friedmann, ein Danziger. Seine Tochter Rita, meine nachmalige Tante, lernte im Lager Joseph Deutsch kennen. Sie heirateten und lebten seit ihrer Rückkehr nach Palästina 1945 im Gelobten Land.
Vorwort
1.581 jüdische Flüchtlinge aus vielen Teilen Europas waren vom Dezember 1940 bis zum August 1945 in einem gefängnisgleichen Lager auf Mauritius, einer britischen Kronkolonie im Indischen Ozean, interniert.
Sie hatten auf abenteuerliche Weise und unter größten Leiden und Strapazen nach monatelanger Irrfahrt als illegale Einwanderer in Palästina, dem Gelobten Land der Juden, Zuflucht vor der hitlerdeutschen Judenverfolgung finden wollen.
Die Regierung Großbritanniens jedoch, nur interessiert am Erhalt des britischen Einflusses im Nahen Osten und ohne Rücksicht auf die hoffnungslose Lage der Flüchtlinge, betrachtete sie als unerwünschte Ausländer und verfügte ihre Deportation aus Palästina, dessen Boden sie endlich betreten hatten.
Auch der verzweifelte Versuch zionistischer Aktivisten schlug fehl, durch die Sprengung der »Patria«, des Schiffes, mit dem die Ausgewiesenen abtransportiert werden sollten, der britischen Regierung die Genehmigung zur Einwanderung nach Palästina abzutrotzen. Erst knapp fünf Jahre später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, konnten die Deportierten nach Palästina zurückkehren. Ihr Friedhof, den sie auf Mauritius zurückließen, zählte 126 Gräber.
Mehr als sechs Millionen Juden wurden in den Jahren des Holocaust, dieser barbarischsten Menschenjagd in der Geschichte, ermordet. Nach Millionen zählen auch die Menschen, die durch dieses in deutschem Namen geschehene größte Verbrechen ihre Gesundheit, ihre Heimat, Verwandte und Freunde, ihr persönliches Hab und Gut verloren.
Angesichts dieser unfaßbaren Zahlen mag das Schicksal von 1.581 jüdischen Flüchtlingen, die in ihrer Mehrzahl letztlich den Holocaust überlebten, mag die Geschichte ihrer Flucht aus dem hitlerdeutschen Machtbereich, ihrer Deportation aus Palästina und ihrer Gefangenschaft auf der Insel Mauritius unbedeutend erscheinen.
Doch auch millionenfaches Leid ist immer das Leid einzelner Menschen. Und jedes einzelne Schicksal ist es wert, bewahrt und erinnert zu werden.
Ronald Friedmann
im März 1998
Die Toten von Mauritius
1
Apfeldorf, Jacob; Wien; 1888 bis 9. Januar 1941;
Banach, Gittel; Warschau; 1896 bis 27. Januar 1941;
Barnass, Fritz; Danzig; 1889 bis 23. Januar 1941;
Baron, Arthur; Wien; 1874 bis 30. August 1944;
Baumgarten, Jakob; Wien; 1883 bis 23. Februar 1942;
Becker, Emilia; Wien; 1874 bis 7. Januar 1941;
Benedikt, Richard; Österreich; 1898 bis 28. Januar 1941;
Berglass, Dr. Fritz; Wien; 1891 bis 23. Mai 1941;
Bondy, Gustav; Wien; 1881 bis 30. Januar 1944;
Delikat, Hugo; Wien; 1878 bis 22. August 1944;
Drill, Sigmund; Österreich; 1872 bis 17. Februar 1941;
Eisler, Dieter; Wien; 1924 bis 1. Mai 1945;
Elias, Julius; Berlin; 1912 bis 15. Januar 1941;
Engel, Mascha; Danzig; 1889 bis 21. Februar 1941;
Engler, Harry; Wien; 1903 bis 29. Januar 1941;
Enoch, Lina; Posen; 1879 bis 20. September 1943;
Eppstein, Meta; ; 1884 bis 16. Januar 1945;
Feld, Markus; Wien; 1886 bis 19. Juli 1944;
Feldmann, Saul; Wien; 1883 bis 17. Februar 1942;
Feyer, Samuel; Wien; 1884 bis 24. Juni 1942;
Flatow, Hermann; Danzig ; 1881 bis 28. Juni 1941;
Flatow, Sophie; Danzig; 1892 bis 30. März 1943;
Fleissig, Alfred; Österreich; 1904 bis 7. April 1945;
Frankel, Leopold; Neustadt; 1905 bis 19. Februar 1941;
Fried, Wilhelm; Danzig; 1878 bis 12. März 1944;
Friedmann, Bernhard; Danzig; 1891 bis 15. März 1943;
Fröhlich, Sarah; Kossov; 1877 bis 16. Januar 1943;
Fuchs, Gertrude; Wien; 1902 bis 12. Januar 1944;
Fuchs, Dr. Maximilian; Wien; 1885 bis 30. März 1945;
Gerstl, Adolf; Neuenkirchen; 1876 bis 18. März 1945;
Glückner, Irma; Wien; 1889 bis 23. Januar 1941;
Gottlieb, Sigmund; Wien; 1882 bis 20. Februar 1945;
Gross, Ruth; Wien; 1931 bis 23. Januar 1941;
Grüber, Chaja; Wien; 1872 bis 30. Mai 1941;
Grünblatt, Chaja; Danzig; 1883 bis 11. Juli 1944;
Grunlut, Bernhard; Wien; 1880 bis 20. Februar 1941;
Haendel, Fritz; Prag; 1910 bis 7. Januar 1945;
Hauser, Moritz; Frund; 1892 bis 4. Februar 1941;
Heiss, Ernst; Neufeld; 1899 bis 30. Januar 1941;
Heiss, Pauline; Goling; 1877 bis 14. Februar 1941;
Held, Vera; Danzig; 1874 bis 31. Januar 1941;
Heymann, Ludwig; Danzig; 1903 bis 2. Juli 1944;
Hirsch, Fischel; Danzig; 1884 bis 5. Februar 1942;
Hirschmann, Anita; München; 1905 bis 5. Januar 1941;
Hochberg, Adolf; Wien; 1878 bis 27. Mai 1943;
Hornstein, Chaja; Polen; 1875 bis 25. Januar 1941;
Hübner, Chana; Wien; 1876 bis 2. März 1941;
Jacobi, Elsa; Berlin; 1888 bis 27. Januar 1941;
Jaul, Amalie; Wiener Neustadt; 1874 bis 28. Januar 1941;
Junker, Eduard; Warschau; 1889 bis 2. November 1944;
Klein, Alexander; Ungarn; 1874 bis 23. Januar 1941;
Klein, Esther Rosa; Wien; 1868 bis 13. März 1941;
Klein, Leo; Wien; 1888 bis 3. Januar 1945;
Klein-Stern, Valeria; Wien; 1898 bis 9. Mai 1941;
Kochmann, Elias; Danzig; 1870 bis 27. April 1942;
Kohn, Erna; Österreich; 1894 bis 29. Januar 1941;
Kohn, Heinz; Danzig; 1904 bis 11. April 1944;
Koppel, Zura; Wien; 1897 bis 8. Dezember 1942;
Kovo, Armand; Wien; 1901 bis 9. März 1941;
Krakauer, Ludwig; Wien; 1882 bis 22. März 1945;
Kurnik, Max; Danzig; 1890 bis 6. Mai 1941;
Lenk, Karl; Wien; 1884 bis 20. Mai 1943;
Levandowsky, Bianca; Zoppot; 1904 bis 15. Januar 1944;
Levandowsky, Emma; Danzig; 1888 bis 29. Dezember 1944;
Lindenbaum, Henriette; Danzig; 1882 bis 4. Februar 1941;
Löwe, Henriette; Berlin; 1878 bis 10. Januar 1945;
Löwe, Wilhelm; Berlin; 1881 bis 25. Februar 1944;
Lünzer, Sophie; Wien; 1895 bis 30. Januar 1941;
Mannheim, Zelma; Danzig; 1899 bis 10. Februar 1941;
Margulis, Max; Wien; 1876 bis 21. Dezember 1943;
Marode, Joseph; Wien; 1918 bis 23. Januar 1941;
Mendel, Monk; Polen; 1889 bis 23. November 1942;
Michaelson, Ella; Danzig; 1899 bis 26. Januar 1941;
Mondschein, Sally; Wien; 1904 bis 2. Februar 1941;
Nelken, Isidor; Wien; 1885 bis 18. November 1943;
Neustadtl, Richard; Wien; 1883 bis 25. Januar 1945;
Offenbach, Rachel; Gwino; 1883 bis 26. November 1943;
Orlof, Max; Rußland; 1884 bis 19. Januar 1943;
Ortner, Ephraim; Jaroslaw; 1888 bis 10. Januar 1941;
Packer, Bernhard; Wien; 1881 bis 9. Januar 1943;
Parille, Emil; Wien; 1887 bis 4. Dezember 1944;
Parille, Frieda; Wien; 1894 bis 1. September 1941;
Prinz, Max; Danzig; 1891 bis 27. Mai 1945;
Reininger, Caroline; Wiener Neustadt; 1885 bis 29. Januar 1941;
Reininger, Sigmund; Neuenkirchen; 1875 bis 31. Januar 1942;
Ripinsky, Itzak; Danzig; 1937 bis 19. Januar 1941;
Ripinsky, Jessa; Danzig; 1893 bis 13. Februar 1941;
Ritberg, Martha; Polen; 1883 bis 30. Januar 1941;
Rittberg, Jakob; Dresden; 1894 bis 24. Juni 1945;
Rosengarten, Jonas; Wien; 1884 bis 2. August 1943;
Schächter, Rachel; Wien; 1885 bis 30. Januar 1941;
Schall, Albert; Wien; 1896 bis 26. Juli 1943;
Schapira, Sabine; Wien; 1889 bis 18. April 1944;
Schiffmann, Gonshia; Danzig; 1879 bis 26. Juli 1945;
Schlittner, Georg; Mauritius; 1941 bis 6. April 1941;
Schmitz, Fritz; Karlsbad; 1892 bis 31. März 1944;
Schön, Edwin; Brodii; 1919 bis 21. Februar 1941;
Schwarz, Hilde; Wien; 1911 bis 5. Februar 1941;
Selig, Sigmund; Zoppot; 1886 bis 6. Mai 1944;
Severtka, Josef; Wien; 1879 bis 2. Januar 1942;
Siegelbaum, Markus; Brodi; 1904 bis 26. November 1942;
Sielmann, Ella; Danzig; 1885 bis 23. Mai 1942;
Sielmann, Sigmund; Zoppot; 1886 bis 17. Juli 1944;
Singer, Hermine; Wien; 1889 bis 3. März 1944;
Speer, Benjamin; Wien; 1885 bis 25. Februar 1942;
Spitz, David; Wien; 1888 bis 28. Februar 1941;
Spitz, Karl; Wien; 1880 bis 18. April 1943;
Steinberg, Arthur; Wien; 1912 bis 2. Juli 1944;
Steiner, Rosa; Frauenkirchen; 1884 bis 21. Januar 1945;
Sventalski, Jacob; Polen; 1932 bis 9. Februar 1941;
Szekeres, Bertha; Ungarn; 1875 bis 23. Januar 1941;
Szilagyl, Gertrud; Wien; 1883 bis 16. Juli 1944;
Topor, Schmuel; Wien; 1888 bis 14. Mai 1945;
Wagner, Dr. Oskar; Wien; 1881 bis 8. Juli 1943;
Wartski, Berthold; Danzig; 1875 bis 15. Februar 1944;
Weiner, Fritzi; Wien; 1910 bis 23. Juli 1945;
Weizner, Max; Wien; 1880 bis 5. Juli 1943;
Wenkert, Schlome; Wien; 1912 bis 16. Januar 1941;
Wiesner, Karoline; Wien; 1881 bis 11. Februar 1941;
Wilder, Ida; Brodi; 1885 bis 11. April 1941;
Wildorf, Theodor; Danzig; 1891 bis 30. Juni 1942;
Wohlgemuth, Ernst; Königser; 1885 bis 22. November 1944;
Wrona, Benno; Kikoll; 1932 bis 30. März 1941;
Zlotak, Chaim; Rußland; 1883 bis 12. April 1945;
Zlotak, Susa; Polen; 1893 bis 2. Januar 1944;
(Kind); Mauritius; 1943 bis 13. Juni 1943
1 Die Angaben in dieser Liste sind den Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof am Rande des Friedhofs St. Martin in Beau Bassin, dem handschriftlichen Friedhofsregister in dem nur wenige Quadratmeter großen Friedhofsbüro unmittelbar neben dem Friedhof und verschiedenen ebenfalls handschriftlichen Lageplänen des Friedhofs entnommen, die im Zionistischen Zentralarchiv in Jerusalem aufbewahrt werden.
Hinsichtlich der Schreibweise des Namens und des Alters der Verstorbenen, aber auch ihrer geographischen Herkunft, gibt es in den Unterlagen erhebliche Abweichungen. Das Friedhofsregister aus den Jahren 1941 bis 1945 enthält beispielsweise nur 118 Eintragungen. Auch auf den Grabsteinen sind viele Angaben nur noch unvollständig lesbar bzw. waren von Anfang an unvollständig bzw. sogar falsch. (Dabei mag eine wesentliche Rolle gespielt haben, daß die europäischen Namen für die einheimischen Angestellten des Friedhofs, die für das Register zuständig waren, sehr fremd geklungen haben.) Die hier erstmals veröffentlichte Liste ist daher gewissermaßen ein Kompromiß, bei dem versucht wurde, die wahrscheinlichste Schreibweise der Namen zu finden und die Lebensdaten entsprechend abzugleichen.
Auf vielen Grabsteinen sind in hebräischer Sprache auch die hebräischen Namen vermerkt.
Auf dem Friedhof existieren gegenwärtig 127 Grabstellen. Zwischen 1941 und 1945 starben 126 Internierte. Unter diesen Toten sind vier Kinder, die mit ihren Eltern auf die Insel kamen, sowie zwei Kinder, die auf der Insel geboren wurden. 1989 gab es eine weitere Beisetzung auf dem Friedhof: Isia (auch Isaac) Berger, 1908 in Litauen geboren, lebte seit Mitte der 30er Jahre auf Mauritius, wo er auch starb.
Nach der Abreise der Deportierten im August 1945 nahm zunächst der anglikanische Bischof von Mauritius den jüdischen Friedhof in seine Obhut, dann, bis zu seinem Tode im Jahre 1983, der katholische Architekt Jacques Demarrais, der u.a. nach einem schweren Taifun im Jahre 1960 für die notwendigen Reparaturen sorgte.
Seit einiger Zeit widmen sich die etwa 20 Mitglieder der Freundschaftsgesellschaft Mauritius-Israel (»Amicale Maurice-Israel«) in Rose Hill der Pflege des Friedhofs (vgl. dazu auch: The Jerusalem Post, 16. September 1988). Der Eingang zum Friedhof trägt in englischer Sprache die traditionelle Inschrift »Blessed be the true Judge 1940-1945«
Das politische Umfeld
Am 23. Oktober 1941 schlug die Falle endgültig zu. Den Juden, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Machtbereich Nazideutschlands befanden, war es nunmehr auch von deutscher Seite offiziell verwehrt, sich ihrer staatlich angeordneten Tötung in Auschwitz, Majdanek oder Theresienstadt durch Emigration, sprich Flucht ins Ausland, zu entziehen. Auf Befehl des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, wurde an diesem Tag ein generelles Auswanderungsverbot gegen alle Juden verhängt,² nachdem bereits ab Frühjahr 1941, im Vorfeld des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und des Beginns der »Endlösung« durch die systematische physische Vernichtung aller europäischen Juden, die Gewährung von Ausreisegenehmigungen an Juden äußerst restriktiv gehandhabt wurde.
Doch in den ersten Jahren der Nazi-Diktatur war die Unterstützung der jüdischen Emigration aus Deutschland, die sehr bald die Form einer gewaltsamen Vertreibung annahm, ein zentrales Element der Judenpolitik des Dritten Reiches gewesen. Allein in den nur knapp sechs Jahren zwischen der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 und den Pogromen der »Reichskristallnacht« im November 1938 verließen mehr als 150.000 deutsche Juden ihr Land³ Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im September 1939 wuchs sich diese Zahl auf insgesamt 226.000 jüdische Flüchtlinge. Hinzu kamen nochmals schätzungsweise 134.000 bis 144.000 jüdische Emigranten aus Österreich und dem »Protektorat Böhmen und Mähren«. Alles in allem verließen bis Kriegsbeginn also etwa 360.000 bis 370.000 Juden den nationalsozialistischen Herrschaftsbereich, das entsprach etwa einem Drittel der jüdischen Bevölkerung dieses Gebietes im Jahre 1933.⁴
Mit der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit schufen die Behörden des Dritten Reiches ein nahezu undurchdringliches Dickicht von ebenso kleinlichen wie bösartigen Vorschriften und Verordnungen, auf deren Grundlage die Juden in Deutschland schrittweise der Bürger- und Menschenrechte sowie ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt wurden.⁵ Den auswanderungswilligen Juden wurden zudem vor ihrer Ausreise aus Deutschland zahllose zusätzliche Abgaben und Zahlungen auferlegt, so daß sie ihre vormalige Heimat nur buchstäblich bis zum letzten Hemd ausgeplündert verlassen konnten. Die sogenannte Reichsfluchtsteuer, bereits 1931 eingeführt, um in den Jahren der Weltwirtschaftskrise die Kapitalflucht aus Deutschland zu begrenzen, wurde von den Nazis dann aber prinzipiell »neugestaltet«. Es war nur eines der pseudorechtlichen Instrumente, mit denen der staatliche Raubzug gegen die Juden in Deutschland praktiziert wurde. Ab 1934 war diese Steuer ständig und dramatisch erhöht worden. Im Gefolge der »Nürnberger Gesetze« 1935 und der verstärkten »Arisierung« der deutschen Wirtschaft ab 1938 war es für Juden schließlich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, so gut wie unmöglich, auch nur einen kleinen Teil ihres früheren persönlichen Eigentums – sei es in Sach- oder in Geldwerten – mit ins Ausland zu nehmen.
Gerade wegen der enormen finanziellen Erträge, die die Beraubung und anschließende Vertreibung der deutschen Juden der Wirtschaft Deutschlands brachte, war die Hitlerregierung über lange Zeit bestrebt, die jüdische Auswanderung aus Deutschland durch verschiedene Maßnahmen zu beschleunigen und die Zahl der Auswanderer zu erhöhen. Noch im Sommer 1939 hieß es beispielsweise in der 10. Verordnung zum sogenannten Reichsbürgergesetz über die Zwangsgründung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vom 4. Juli 1939 im Artikel 1, Paragraph 2, Absatz 1: »Die Reichsvereinigung hat den Zweck, die Auswanderung der Juden zu fördern.«⁶ Am 2. Februar 1940 erfolgte der Beschluß über eine sogenannte Auswanderungsabgabe-Verordnung, der zufolge die emigrierenden Juden 10 bis 60 Prozent ihres verbliebenen Vermögens an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zu übergeben hatten. Die Reichsvereinigung sollte mit diesem Vermögen ihre Verpflichtung zur Sozialhilfe an die in Deutschland zurückbleibenden und zumeist völlig mittellosen Juden erfüllen. Allerdings: Bereits am 23. Januar 1938 war durch Erlaß der Gestapo verfügt worden, daß alle unerlaubt nach Deutschland zurückkehrenden jüdischen Emigranten sofort und unbefristet in ein Konzentrationslager