Der Todestagverkäufer
By Norman Nekro
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Auch der alternde Bonvivant Baron Eitel von Wallerfels hat aus reiner Neugier den Todestagverkäufer konsultiert. Um so größer sein Erschrecken, als er hören muss, dass er nur noch drei Tage zu leben hat. Verzweifelt fleht er seinen Arzt Professor Froebius um Hilfe an. Ein prall mit süddeutschen Gulden gefüllter Lederbeutel soll der Bitte des Adeligen den nötigen Nachdruck verleihen.
Obwohl der kritische Medicus die Todesprophezeiungen für lächerliche Quacksalbereien hält, beginnt er daraufhin das Umfeld Mortemers zu durchleuchten. Dabei stößt Froebius schnell auf eine Kette logisch nicht erklärbarer Ereignisse. Sie führen ihn direkt in das grauenvolle Finale einer dämonischen Seelenjagd, die in den mörderischen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges mit einer tragischen Liebe begonnen hatte.
Dass die Logik eines kühlen Verstandes alleine den Kampf gegen Geister, Dämonen, Vampire und allem, was sonst noch die Nächte unsicher macht, nicht gewinnen kann, muss Professor Dr. Johann Jakob Fürchtegott Froebius immer wieder widerwillig zugeben. Denn der praktische Arzt aus der Nach-Napoleon-Ära um 1818 ist alles andere als ein passionierter „Geisterjäger“. Er sieht sich als kritischen Wissenschaftler, der nur das akzeptiert, was man mit Formeln berechnen und in Experimenten nachweisen kann. So passt es ganz und gar nicht in sein sorgfältig gepflegtes Weltbild, dass ihn der Bannkreis des Unheimlichen nicht mehr aus den Klauen lässt...
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Der Todestagverkäufer - Norman Nekro
lieferbar
Froebius. Zur Person
Professor Dr. Johann Jakob Fürchtegott Froebius (48) ist ein praktischer Arzt, der in der Nach-Napoleon-Ära um 1818 im Herzogtum Nassau eine geschäftlich nur mäßig erfolgreiche Kleinstadtpraxis betreibt.
Den Professorentitel hat Froebius als Dank für seine Tätigkeit als Militärarzt in den preußischen Feldlazaretten während der Befreiungskriege erhalten. Im Zivilleben ist er weder altruistischer Samariter noch raffgieriger Halbgott in Weiß. Als lizensierter städtischer Medicus legt er zwar großen Wert auf ein standesgemäßes Einkommen, behandelt aber trotzdem alle seine Patienten ungeachtet ihres Standes oder Geldbeutels sorgfältig nach bestem Wissen und Gewissen.
In die Parallelwelt der Geister, Dämonen, Vampire und allem, was sonst noch die Nächte unsicher macht, gerät Froebius regelmäßig ohne es zu wollen. Alles andere als ein passionierter „Geisterjäger", sieht er sich selbst als kritischen Wissenschaftler, der nur das akzeptiert, was man mit Formeln berechnen und in Experimenten nachweisen kann. Im Kontakt mit dem Bannkreis des Unheimlichen muss er aber immer wieder erkennen, dass die Logik eines kühlen Verstandes allein den Kampf gegen die dunklen Mächte nicht gewinnen kann.
I
»Bitt` einträtta, gnä` Herr!«
Verblüfft starrte Heinrich Persell den kleinwüchsigen Mann an, der soeben flink wie ein Wiesel aus der spaltbreit geöffneten Tür geschlüpft war und ihm mit einer tiefen Verbeugung den Weg in das Konsultationszimmer des großen Magus wies. Der Liliputaner war nur etwas über einen Meter groß, fiel aber noch mehr durch seine papageienbunte Kleidung auf. Knallrote, mit goldenen Sternen bestickte Pluderhosen, jadegrüne Schnabelpantoffeln, eine dunkelblaue Samtweste sowie ein riesiger knallrot-dunkelblau gestreifter Turban mit Goldbrosche und rosafarbener Flamingofeder nährten werbewirksam die Vermutung, dass der Träger dieser exotischen Tracht offenbar aus einer sehr weit entfernten Weltgegend stammen musste.
Die alles entscheidende Antwort auf die wichtigste Frage seines Lebens?
Hier sollte er sie finden?
Von einer Sekunde auf die andere kam sich Persell zutiefst lächerlich vor. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen: Er, der reiche Weinhändler, einer der angesehensten Bürger der kleinen Stadt am Main, war gerade im Begriff, sich im Hinterzimmer des Gasthofs »Zum Goldenen Anker« von einem zwielichtigen Quacksalber nichts Geringeres vorhersagen zu lassen als Tag und Stunde seines eigenen Todes!
Das kann doch nur betrügerischer Humbug sein!
Dem Mittfünfziger mit dem voluminösen Backenbart wurde plötzlich siedend heiß. Hat ihn wirklich nur die reine Neugier dazu getrieben, sich auf einen solchen abergläubischen Unsinn einzulassen?
Oder war er vielleicht nicht mehr ganz bei Verstand?
Der Weinhändler schämte sich in Grund und Boden. Er fasste seinen Gehstock fester, wollte gerade auf dem Absatz umdrehen und das Wirtshaus fluchtartig verlassen, da schwang die knorrige alte Eichentür zur Gänze auf und gab den Blick frei auf den mysteriösen Todespropheten, von dem zur Zeit die ganze Stadt sprach.
Die rechte Hand nonchalant in der Hosentasche, lehnte Magus Mortemer, wie er sich selbst nannte, lässig im Türrahmen. Gut zwanzig Jahre jünger als Persell, strahlte seine ganze Erscheinung eine höchst extravagante Mixtur aus weltmännischer Noblesse und ungezähmter raubtierhafter Wildheit aus. Schulterlanges, rabenschwarz schimmerndes Haar fiel auf eine offen getragene honigfarbene Seidenweste mit Arabeskenmustern, unter der ein blütenweißes Hemd ohne Kragen und Schleife hervorleuchtete. Die gertenschlanke Gestalt wurde von einer hauteng geschnittenen anthrazitfarbenen Hose betont, die in geschmeidigen schwarzen Stiefeln mit hellgrauen Stulpen mündete. Solche edlen Stücke aus kostbarstem Juchtenleder konnte man nur gegen teure Goldgulden im fernen russischen Zarenreich bekommen.
»Kein Zweifel, ein Mann von Geschmack und Vermögen«, dachte Persell mit widerwilliger Bewunderung. Dass es aber doch ein Detail gab, das absolut nicht in das elegante Bild des perfekten Kavaliers passen wollte, bemerkte er erst, als Magus Mortemer die rechte Hand aus der Hosentasche zog.
Statt menschlicher Finger lugte eine stählerne Hakenkralle aus dem weißen Hemdsärmel!
Dem Weinhändler fiel sofort auf, dass sich selbst diese makabre Prothese durch eine besonders erlesene Qualität auszeichnete. Ein wahrer Künstler aus Hephaistos` Zunft musste es gewesen sein, der mehr als dreihundert Lagen harten und weichen Stahl in einen akribisch fein strukturierten Rosendamast verwandelt und daraus den Haken geschmiedet hatte.
»Monsieur Persell, wie ich vermute. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Kommen Sie doch bitte herein...« Mit einer schwungvollen Geste deutete Magus Mortemer in den Raum hinter sich.
Die Bewegung ließ die Stahlklaue aufblitzen.
Irritiert zwinkerte der Weinhändler mit den Augen. Er konnte plötzlich den Blick nicht mehr von dem Haken abwenden und stellte mit Erschrecken fest, dass sich das silbrige Gleißen des Rosendamasts immer greller in seine Netzhaut brannte. Nach wenigen Sekunden war der wie erstarrt dastehende Geschäftsmann geblendet. Durch feurige Zackenkreise glaubte er noch erkennen zu können, wie sich die Augen des Wahrsagers zu schmalen Schlitzen verengten, in denen eine rötliche Glut waberte. Heraus schossen seltsam stechende Blicke, die sich ins Bewusstsein seines Gegenübers fraßen und dort jeglichen Widerstand brachen.
Aber das hat Persell schon nicht mehr wahrgenommen.
Dafür kam ihm der Gedanke, den »Goldenen Anker« zu verlassen ohne Magus Mortemer konsultiert zu haben, jetzt einfach absurd vor.
* * *
Mit einem planlos zusammengewürfelten Sammelsurium vom Zahn der Zeit angenagter Salonmöbel hatte Ankerwirt Bruno Feldschmied versucht, sein Hinterzimmer in so etwas wie ein repräsentatives Separée für vertrauliche geschäftliche Gespräche zu verwandeln. Das Vorhaben war jedoch kläglich misslungen, denn der altväterlich enge Raum unter der niedrigen durchgebogenen Balkendecke erweckte mit dieser schäbigen Ausstattung erst recht den Eindruck einer längst vergessenen Abstellkammer.
Wie er auf das zerschlissene Gobelinsofa gelangt war, wusste Persell nicht mehr. Als ob er aus einer tiefen Trance erwachte, reckte der Weinhändler den Kopf hoch, sah sich vorsichtig um und registrierte dankbar, dass seine Sehstörungen verschwunden waren. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des verkratzten chinesischen Lacktischchens, saß Magus Mortemer in einem von Weinflecken und Brandlöchern verunstalteten dunkelbraunen Ledersessel und beobachtete amüsiert Persells Reaktionen. Keine rotglühenden Augen diabolisierten den Blick des Todespropheten, keine dämonische Grimasse verzerrte seine Gesichtszüge. Selbst der Rosendamast der Hakenkralle schimmerte friedlich in harmlosem Silberglanz.
»Verzeihen Sie diese jämmerliche Umgebung, verehrter Monsieur Persell«, begann der Magus mit der selbstsicheren Noblesse eines Mannes von Stand. »Ich habe die ganze Welt bereist und meine Kunst an vielen Orten ausgeübt, selbst jenseits der großen Ozeane. Aber nirgendwo musste ich in einem so indiskutablen Loch wie diesem hier praktizieren. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung dafür an, dass ich in Ihrer schönen Stadt keine angemessenen Räumlichkeiten für meine Konsultationen finden konnte«.
Persell nickte heftig. Er war noch nicht in der Lage, einen sinnvollen Satz über die Lippen zu bringen.
Einem Nebelgespenst aus dem Nichts gleich tauchte der Liliputaner hinter dem traumatisierten Geschäftsmann auf. Vorsichtig stellte er ein Silbertablett mit Weinkaraffe und zwei Kristallgläsern auf der schwarz lackierten Platte des chinesischen Tischchens ab. Nach einer stummen, aber tiefen Verbeugung trippelte der kleine Mann mit dem großen Turban zur Tür und bezog dort mit gekreuzten Armen reglos Position, den Blick starr geradeaus auf einen imaginären Punkt gerichtet.
Magus Mortemer deutete mit seiner Hakenkralle