Vom Luftikus zum Heilpädagogen, Landwirt und Clown: Mein verrücktes und seltsames Leben
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Der Autor dieser Biografie schildert, wie er Schritt für Schritt seine Schwierigkeiten überwand und ein fast „normaler“ Mensch wurde. Dabei meisterte er viele schwierige Situationen, die ihm zu tiefen Einsichten in das Leben verhalfen. Er nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise über viele Lebensstationen, die vom Luftikus zum Heilpädagogen, Clown und Landwirt führt.
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Book preview
Vom Luftikus zum Heilpädagogen, Landwirt und Clown - Winfried Kirst
Inhaltsverzeichnis
Meine Metamorphose
Auftakt
Früheste Kindheitserinnerungen - Drei Attacken auf mein Leben
Lernbehindert, aber voller Bewegungsdrang
Ich war ein Luftikus
Bombennächte in Köln
Der Laternenkletterer
Ein gefährliches Spielzeug
Der Fahnenstangenkletterer
Auf und in den Trümmern von Köln
Evakuierung
Zurück in Köln
Das realitätsfremde Zeugnis
Meine eigenartige Entwicklung
Pflege eines schwerstbehinderten Kindes
Erfahrungen in der heilpädagogischen Arbeit auf dem Birkenhof
Die Kleptomanie
Die Geschichte der Madeleine
Das väterliche und mütterliche Element
Willensschulung
Clownerie und Heimkonzerte
„Papa Kirst, Popo ab"
Meine erste Weltreise nach Ostasien nach 11 Jahren heilpädagogischer Arbeit
Auf der Suche nach meiner Prinzessin
Ein seltsamer Spaziergang
Meine Tätigkeit an der Waldorf-Sonderschule in Wuppertal
Auf dem Schepershof im Windrather Tal
Eine daneben gegangene Therapie – oder?
Mein außergewöhnliches Zeugnis
Auseinandersetzung mit einem Landwirt
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Johannes Bockemühl
Ein therapeutischer Bauernhof
Landwirtschaftsausbildung im Kreis Lörrach
Als Werkstattleiter in der Jugendwerkstatt Weil am Rhein
Als Gruppenleiter im Heim für verhaltensauffällige Jugendliche
Und er heiratet nochmals
Als Gruppenleiter in der evangelischen Einrichtung „Haus der Diakonie" in Wehr-Öflingen
Gründung eines autarken Dorfes in Spanien
Meine Kellerkinder- und Clownausbildung
Reif fürs Guinness-Buch der Rekorde! Sensationelle 2.40 Meter hohe Getreidehalme in meinem Garten in Eichen/Schopfheim
Meine Unterhaltungsmusik
Die verschiedenen Theateraufführungen im „Freies Theater Schopfheim und „Freies Theater Tempus Fugit
in Lörrach
Die 7 Grundenergien des Menschen
Die Boppart-Methode
Das siebte Kellerkind: der Binnix
Tanzmeditation
Das fünfte Kellerkind: das Flittchen
Kurze Darstellung der übrigen Kellerkinder Das erste Kellerkind - Die Tranfunzel
Das zweite Kellerkind - der Fetzer
Das dritte Kellerkind: Das Lästermaul
Das vierte Kellerkind: Der Großkotz
Das sechste Kellerkind: der Geizhals
Über Johannes Galli
Die drei „Erzkellerkinder"
Meine Farbstudien
Meine Metamorphose
Auftakt
Biografien spiegeln den individuellen Werdegang eines Menschen. So hat jede Biografie seinen Wert in sich selbst. Der Tempel, in dem der individuelle Menschengeist wirkt, ist der Körper des Menschen, in dem er lebt. Wie wirkt der individuelle Geist im Körper? Wie offenbart er sich? Der individuelle Geist ist das innere Königtum. So ist jeder Mensch ein König oder eine Königin. Wie bin ich mit mir, mit meinem Königreich, umgegangen? Wie bin ich mit denen umgegangen, die zu mir gehören? Was haben meine Erfahrungen des Lebens, seien es heftige Schicksalsschläge, seien es positive Hilfestellungen anderer Menschen, die mich gefördert haben, aus mir gemacht? Was habe ich aus meinen Pfründen, meinen individuellen Begabungen gemacht? Wie sahen meine Kämpfe mit mir selber aus? Zum Beispiel: wie bin ich gegen meine Gewohnheiten, gegen mein Unvermögen vorgegangen? Wie bin ich mit meiner Trägheit, Faulheit oder Bequemlichkeit umgegangen? Wie bin ich mit meiner Großspurigkeit, meinem Geiz, meinem Aufbrausen, meinem unterschwelligen Gerede gegenüber Dritten, meiner Gerüchteküche, mit meiner Sucht, mich darzustellen, umgegangen? Wie bin ich mit meinem „Binnix (ausführlich gehe ich dazu im Kapitel „Die 7 Grundenergien des Menschen
ein) umgegangen, der sich äußert in: ich bin nichts, ich kann nichts, ich habe nichts? Wie bin ich also mit meinen Hemmschuhen umgegangen? Das Spannende an einer Biografie ist, wie ist der Schreiber mit allen Widerständen umgegangen, was hat er daraus gemacht? Ihr seid gespannt? Ich auch!
Viele Geschichten aus meiner Kindheit sind hier aufgeschrieben. Daraus könnte man jetzt sicher einen Film drehen für Kinder, wegen der Originalität und Witzigkeit. Man müsste nur den entsprechenden Knaben finden. Auf jeden Fall muss er klettern können!
Früheste Kindheitserinnerungen
Drei Attacken auf mein Leben
Drei Angriffe, drei Attacken auf mein Leben fanden in meiner Kindheit statt. Woran ich mich nicht erinnern kann, mir aber erzählt wurde, geschah auf einem Spaziergang mit der Familie. Ich war etwa 1 1/2 Jahre alt. Wir liefen am Ufer des Decksteiner Weihers im Grüngürtel von Köln entlang. Ich war als kleiner Wicht zurückgeblieben und plötzlich nicht mehr zu sehen. Die Frage war, wo ist das Kerlchen? Er war weg und einfach nicht mehr zu sehen. Mein Vater sah dann einen Haarschopf aus dem Wasser ragen. Mein Gesicht war bereits unter Wasser. Schnell holte mich mein Vater heraus. Das war noch einmal gut gegangen!
In grellem Licht stand dagegen mein erstes bewusstes Erlebnis mit 3 Jahren. Ich hatte starke Bauchschmerzen. Der Hausarzt empfahl gegen die Magenverstimmung einen Bettwärmer. Das war in dieser Situation jedoch eine Fehldiagnose. In jener Nacht stand ich aufrecht im elterlichen Bett. Meine Mutter war alleine. Mein Vater war mit dem Kölner Orchester auf einer Konzerttournee, entweder in London oder Mailand. Ich sprang im Bett auf und ab und hielt mir den Bauch und schrie vor Schmerzen. Nachts wurde ich dann mit Blaulicht in die Lindenburg-Klinik, die Uniklinik von Köln, gefahren und blitzschnell operiert. Ich sehe mich auf der Liege, von vier jungen Krankenschwestern liebevoll betreut und jede beschäftigte sich mit einer Hand und einem Fuß und schnitten mir die Nägel. Plötzlich wurde ich von acht Händen gewaltsam festgehalten. Es wurde etwas über mein Gesicht gestülpt. Ich wehrte mich dagegen und schrie und erstickte daran. Was ich mit drei Jahren nicht wissen konnte war, was eine Narkose ist. Es war sicher eine Lachgasnarkose. Das war im Jahre 1938.
Nach der Operation lag ich drei Tage im Koma. Meinen Eltern wurde von Seiten der Ärzte keine Hoffnung für mein Überleben gemacht. Unser Hausarzt hatte die beginnende Blinddarmvereiterung leider nicht erkannt und eine falsche ärztliche Maßnahme eingeleitet. Die Vereiterung des Blinddarms entwickelte sich zu einer totalen Bauchfellvereiterung und brach durch. Eine solche Operation ist auch heute noch ein Kampf um Leben und Tod, mit einer Überlebenschance von 50 Prozent. Da bei einem Durchbruch der Eiter, wenn er mit dem Blut in Berührung kommt, nicht nur eine Hirnschädigung auslösen, sondern blitzschnell zum Tode führen kann.
Nachdem ich dann nach drei Tagen aufwachte, sah ich, wie durch meinen Bauch ein Röhrchen links und rechts heraus-schaute, aus dem der Eiter abfloss. Ich habe dann ein halbes Jahr im Krankenhaus gelegen und durfte mich in dieser Zeit nicht bewegen. Das führte dazu, dass ich bei der Entlassung nicht mehr gehen konnte und das Gehen wieder neu erlernen musste. Ich war vorher ein runder, temperamentvoller Knabe, jetzt war ich abgemagert bis auf die Knochen und war ein Strich in der Landschaft. Ich sehe mich noch, wie ich zwischen Vater und Mutter, die mich abholten, von ihnen gestützt, wieder meine ersten Gehversuche machte. (Der Ausdruck „Strich in der Landschaft" bezieht sich auf den Sonnenstand um die Mittagszeit, wo die Gegenstände keinen Schatten werfen.)
Die dritte Attacke fand in meiner Schulzeit statt, etwa um das 11. Lebensjahr herum. Alle paar Jahre fand im Kölner Stadion ein Polizeisportfest statt. Dazu wurden die Schüler aller Schulen eingeladen. Ich saß im Stadion auf einer einfachen hohen Sitzstufe. Wir amüsierten uns über die Kampfstimmung der sportlichen Polizisten. Zum Beispiel: Sieben Polizisten lagen im Bett. Ein schriller Pfeifton ertönte, alle sprangen aus dem Bett und zogen blitzschnell ihre Uniformen an. Ein Verbrecher rannte vor ihnen weg. Sie mussten durch einen Wassertümpel waten und an einer steilen Kletterwand hochklettern, über Hürden springen, immer hinter dem fliehenden Verbrecher her. Schließlich fassten sie ihn und legten ihm Handschellen an. Später sprangen sie auf ihre Pferde und galoppierten über Hürden und Wassertümpel. Wir Schüler hatten einen riesigen Spaß zuzuschauen.
Ich saß also dort mit meinen Schulkameraden in einer Reihe auf einer Stufe. Die Stufen hinter und vor uns waren frei und nicht besetzt. Plötzlich hatte ich ein heftiges, bohrendes Gefühl im Nacken. Ich riss aus unerklärlichen Gründen meinen Kopf nach unten und plötzlich sauste ein faustgroßer Stein knapp über meinen Kopf hinweg. Ich hörte noch das Sausen. Dieser Stein hätte unweigerlich meinen Hinterkopf getroffen. Ich sehe mich voll Wut aufspringen. Ich war außer mir, rannte die vielen hohen Stufen nach oben, fand dort einen Stein und suchte verzweifelt nach dem Steinewerfer. Oben angekommen packte mich eine neue Wut, weil meine freie Sicht durch eine Hecke und Baumbestand versperrt war. Hätte ich ihn entdeckt, hätte ich den Übeltäter mit dem Stein, den ich in der Faust hielt, unweigerlich getroffen. Leider war niemand zu sehen.
Die Abfolge des Geschehens war genauso wie ich es geschildert habe, und doch ist es im Nachhinein wie ein großes Rätsel. Ich staune heute noch darüber.
Das einschneidende Erlebnis der Operation an meinem Bauch war die Ursache, dass ich in der Schule fast nichts lernen konnte. So konnte ich überhaupt keinen theoretischen Inhalt aufnehmen. Der Schulstoff hatte mich nicht berührt, bis auf das Rechnen. Nur dadurch, dass ich beim Rechnen die Zahlen vor mir stehen hatte, konnte ich das Rechensystem erfassen und verstehen. Das war das Einzige, was ich konnte. Ich konnte keinen Aufsatz schreiben, kein Diktat, später kein Englisch lernen, so dass ich in der ersten Klasse schon sitzen blieb. In diese Zeit, es war im Jahre 1943, fiel auch die Schulschließung und die spätere Evakuierung mit der Familie in den Harz. Mein ältester Bruder wie mein Vater waren in der Wehrmacht.
Ich erinnere mich an eine Schulepisode: Ein Schulfreund kam zu mir und wir versuchten 10 englische Vokabeln zu lernen. Mein Freund konnte diese Vokabeln innerhalb von 10 Minuten und ich nach einer halben Stunde immer noch nicht. Da packte mich eine solche Wut, dass ich einen fest gefügten Eichenstuhl auseinandriss und zu Boden schleuderte. Später warf ich einen Waschlappen gegen die Küchenuhr, die daraufhin herunterfiel. Ich wollte lernen und konnte nicht!
Menschenkundlich betrachtet und aufgeschlüsselt, habe ich verstanden und erfahren müssen, dass zwar die tiefere Anlage des natürlichen Lernens in jedem Kind vorhanden ist, aber durch einen physischen Eingriff, besonders durch eine Bauchoperation, nicht mehr realisiert werden kann. In aller Bescheidenheit kann man hier einfügen, dass dieses Schicksal, aber viel härter und schlimmer, auch die Amerikanerin Helen Keller getroffen hatte, die taubstumm und noch dazu blind war. Alle normalen Sinne standen ihr nicht zur Verfügung. Sie wurde 1880 im Staat Alabama als gesundes Kind geboren, verlor aber durch eine Hirnhautentzündung im Alter von 19 Monaten ihr Seh- und Hörvermögen. In ihrer frühen Kindheit bekam sie ganz schlimme Wutanfälle, so dass sie bei einem festlich gedeckten Tisch die ganze Tischdecke herunterriss. Ein anderes Mal sprang sie auf einen gedeckten Tisch und schrie. Die Eltern und der Umkreis waren hilflos. Diese Wutanfälle hörten auf in dem Moment, als sie mit ihrer Erzieherin, Anne Sullivan Macy, die im Perkins-Institut für Blinde ausgebildet war, auf einem Spaziergang an einem Brunnen vorbeikam und diese eine Hand von Helene unter den Wasserstrahl hielt und in die andere Hand „Water schrieb, wobei sie ein Fingeralphabet, wie es zum Teil von Gehörlosen benutzt wird, verwendete. Das Kind begriff sofort, dass dieser Wasserstrahl mit diesem Wort in Verbindung stand. In dem Augenblick begann sie zu lernen. Und was man nicht ausdenken konnte: sie machte später ihr Abitur, lernte mehrere Fremdsprachen, darunter Französisch und Deutsch, und machte 1904 ihren Bachelor-of-Arts-Abschluss mit „cum laude
. Später erhielt sie eine Ehrendoktorwürde unter anderem von der Harvard-Universität. Sie starb 1969 in Boston als bekannte Schriftstellerin und Kämpferin für die Blinden.
Lernbehindert, aber voller Bewegungsdrang
Ich wurde in der Folgezeit verhaltensauffällig und lernbehindert. Ich saß in der Schule in der letzten Stuhlreihe hinter einem Schüler mit einem breiten Rücken, den Blicken des Lehrers verborgen. Ich verschwand förmlich und trat nicht in Erscheinung. Fiel es dem Lehrer irgendwann auf, dass da noch ein Schüler sass, der nicht zu sehen war und eine Frage an mich stellte, stand ich verdattert auf, bekam einen roten Kopf und konnte keine Antwort geben. Ich war schon ein merkwürdiges Kind. In der Schule eine Niete, aber außerhalb der Schule in der Natur nicht nur ein Wind, sondern ein Sturmwind, ein nicht zu bändigendes Kind mit einem ungeheuren Bewegungsdrang. Die höchsten Bäume wurden erklettert und auf dem Dachfirst Spaziergänge veranstaltet. Ich war zwar durch diese Blitz-Operation abgemagert, aber voll von Bewegungsenergie. Spielte ich zu heftig Fußball, bekam ich einen Krampf im Bauch mit heftigen Schmerzen. Ich schleppte mich dann nach Hause und konnte nur in einer gekrümmten, bestimmten Seitenlage die Schmerzen ertragen.
Mein liebstes Spiel war das Schießen mit Pfeil und Bogen auf bestimmte Ziele. Mein nächstes Spielzeug war die Flitsch, eine Astgabel mit Gummiband und Leder und einem Kieselstein. Ich hatte eine erstaunliche Treffsicherheit. Es war herrlich, von der Platane die dicken Samenkugeln (gleichzeitig schlimmes