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Grimms Märchen von A bis Z: Kleines Lexikon der Märchenmotive
Grimms Märchen von A bis Z: Kleines Lexikon der Märchenmotive
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Grimms Märchen von A bis Z: Kleines Lexikon der Märchenmotive

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About this ebook

Dieses Buch untersucht die Motive in den Grimm’schen Märchen aus den Aktionen des Textes heraus ( märchenimmanent ). Ansätze soziologischer, politologischer und psychologischer Art, die oft nur eine Bestätigung des jeweiligen Wissenschaftskreises erbringen sollen – Märchen als Demonstrationsobjekt fachwissenschaftlicher Schemata – bleiben bewusst ausgeblendet, denn drei Seiten Grimm müssen drei Seiten Grimm bleiben und nicht die Spielwiese der jeweiligen Fachrichtung.

Der Begriff » Motiv « ist weit gefasst, um ein intensives Durchdringen der Märchen zu erreichen. Zugrunde gelegt sind bei den Zitaten aus den Märchen die Bücher Brüder Grimm – Kinder und Hausmärchen, 2008, Frankfurt am Main, Fischer Taschenbuch Verlag, sowie Grimms Märchen, o.J., Eggolsheim, Dörfler-Verlag. Das letztere Buch wurde insbesondere dann benutzt, wenn mundartlich geprägte Märchen Gegenstand der Darstellung sind, da sie hier moderat ins Hochdeutsche übertragen werden.

Das Auffinden bestimmter Motive als Wegmarken macht den Leser / Zuhörer sensibel für die Märchenhandlung, gerade in einer Zeit, in der das symbolische Denken noch viel vertrauter war als heute. Es ermöglicht ihm sogar auf Grund seiner Erfahrungen, den Gang der Handlung vorauszudenken – das Wiedererkennen der Motive ähnelt einem Déjà-vu-Erlebnis – und Vergleiche zu anderen Märchentexten herzustellen. So wird der Bewusstseinshorizont des Rezipienten gewahrt. Auf die Erfahrungen des damaligen Lesers bei der Ausdeutung der Motive einzugehen, das hat sich diese Untersuchung zum Ziel gesetzt. Bei der Angabe der Belegstellen wird der Märchentitel mitunter verkürzt wiedergegeben.
LanguageDeutsch
Release dateDec 23, 2014
ISBN9783738687903
Grimms Märchen von A bis Z: Kleines Lexikon der Märchenmotive
Author

Axel Dickmann

Oberstudienrat a. D., Jahrgang 1948. Geboren und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Von 1968 bis 1973 Studium der Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft an der Johann-Wolfgang-von-Goethe Universität, Frankfurt am Main. Schuldienst von 1973 bis 2004. Lebt in Maintal.

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    Grimms Märchen von A bis Z - Axel Dickmann

    Motive

    Anfangssätze

    Etwa ein Drittel der Märchen beginnt mit der Wendung: »Es war einmal …« Vielleicht soll dem Leser / Zuhörer im Sinne von »wahr« ein Wirklichkeitsgehalt vorgespiegelt werden, etwa in dem Sinne: Das ist früher schon einmal geschehen; es könnte sich auch heute wiederholen.

    Formelhafte Einleitungssätze geben Sicherheit und Vertrauen:

    »Es lebte einmal …« (Die Gänsemagd)

    »In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat …« (Der Froschkönig)

    »Es trug sich zu, dass …« (Der Schneider im Himmel)

    »Vorzeiten war …« (Tischchen-deck-dich …)

    »Es ist wohl schon tausend Jahre her und mehr …« (Die drei Vögelchen)

    »Eines Tages …« (Der Meisterdieb)

    »Eines Abends …« (Der Trommler)

    »Zur Winterzeit, als …« (Der goldene Schlüssel)

    In seltenen Fällen haben Einleitungssätze einen religiösen Bezug:

    »Es war 300 Jahre vor des Herren Christi Geburt …« (Die zwölf Apostel)

    »Vorzeiten, als Gott noch selbst auf Erden wandelte …« (Die Kornähre)

    »Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben waren …« (Die ungleichen Kinder Evas). Der den damaligen Menschen vertraute und sichere Gottesglaube verbürgt auch die Authentizität der Märchen.

    Ortsbestimmungen erhöhen den Wahrheitsgehalt (Das Mädchen von Brakel / »In der Schweiz« → Die drei Sprachen / »Ostindien« → Die drei schwarzen Prinzessinnen).

    »Ostindien« klingt für den Leser schön, doch eine realistische Vorstellung, wo es liegt, dürfte wohl keiner der Märchenleser gehabt haben.

    Aus ihren Erfahrungen heraus wissen die Leser allerdings von den Schwierigkeiten der Menschen, die die Anfangssätze schildern. Die Akteure sind:

    »arm« → »ein armer Mann« (Die Goldkinder); → »eine arme Frau« (Strohhalm, Kohle und Bohne)

    »alt« → »ein alter König« (Der treue Johannes); → »eine alte Frau« (Strohhalm …)

    lange kinderlos (→ Dornröschen / Ferdinand getreu …)

    zu kinderreich (→ Der Herr Gevatter)

    prügelnden Sadisten ausgesetzt (→ Brüderchen und Schwesterchen / Einäuglein…)

    in Angst vor wilden Tieren (→ Der singende Knochen)

    Waise (→ Der arme Junge im Grab / Sterntaler)

    vom Tod des Ehepartners getroffen (→ Aschenputtel / Die drei Männlein im Walde)

    krank (→ Das Mädchen ohne Hände / Das Wasser des Lebens)

    in einem schlechten Beruf tätig (→ Hänsel und Gretel / Das blaue Licht / Das Waldhaus)

    Schon im Märchentitel spiegelt sich oft die bedrückende Situation: Das alte Mütterchen / Der alte Großvater und der Enkel / Die alte Bettelfrau → »alt« und → »arm« → Kombination der Elemente. Viele Menschen, die am Beginn des Textes elend dastehen, sind am Märchenende reich und glücklich.

    Liegen aber zu viele negative Elemente vor, ist selbst das Märchen machtlos.

    Der arme (!) Hirtenjunge (schlecht bezahlter Beruf, Jugend → Unerfahrenheit!), der als Waise (!) von der Obrigkeit (anonym, hat wohl keinen dauerhaften Kontakt zu dem Knaben) in den Dienst eines Reichen (hier drohen Konflikte!) gegeben wird und dort regelmäßig Prügel erhält, landet am Ende folgerichtig durch Selbstmord im Grab (Der arme Junge im Grab).

    Aufstieg (sozial)

    Der Aufstieg der Akteure im Märchen vollzieht sich niemals schnell. Er ist vielmehr das Resultat einer absolvierten Abenteuerkette (drei sich steigernde Prüfungen). Ziele sind Glück, Macht, Reichtum. Den Weg nach oben betritt nur eine isolierte Person; lediglich bei Kindern erfolgt das Fortkommen qua Solidarität im Team (Hänsel und Gretel / Brüderchen und Schwesterchen). Der Aufstieg führt ohne Zwischenschritte von ganz unten nach ganz oben (der Held wird zum Beispiel nicht erst Graf oder Herzog, sondern gleich König). Hilfreich für den Erfolg ist bei Frauen ihre Schönheit, bei Männern Witz, Geschicklichkeit, Ausdauer, Mut, Optimismus und Gottvertrauen. Standesgrenzen, die damals allgemein akzeptiert waren, behindern das Fortkommen ebenso wenig wie das weibliche Geschlecht (Die kluge Bauerntochter). Zudem sind für den Aufstieg keine »Beziehungen« relevant. Beispiele für den sozialen Aufstieg zeigen gerade die bekanntesten Märchen der Grimms:

    Aschenputtel → Das verachtete Mädchen aus dem Ofendreck heiratet den König.

    Hänsel und Gretel → Die beiden Kinder gelangen samt Vater ins Großbürgertum (Schätze der Hexe).

    Rapunzel → Das einsame Mädchen aus dem dunklen Turm wird Königin des

    Landes.

    Rumpelstilzchen → Die hilflose Müllerstochter aus der Spinnstube heiratet den König.

    Das Hirtenbüblein → Ein armer Knabe überzeugt durch seine Klugheit; der König adoptiert ihn.

    Der Bärenhäuter → Der durch seine Kleidung entstellte Soldat wird König.

    Die drei Sprachen → Der Dummling, den der Vater töten lassen will, avanciert zum Papst, der größte Aufstieg!

    Anders strukturiert ist das Märchen König Drosselbart. Die widerspenstige Königstochter erlebt an der Seite des »Spielmanns« zunächst einen herben sozialen Abstieg mit bäuerlichen Tätigkeiten (Feldarbeit, Spinnen, Körbe flechten). Nachdem sie sich in ihrem Wesen verändert hat, darf sie in den königlichen Rahmen zurückkehren und den »Spielmann / König« heiraten (ähnliche Situation → Die sechs Diener).

    Zunächst vollzieht die Fischersfrau (Von dem Fischer und seiner Frau) einen rasanten Aufstieg mit der Hilfe des Zauberfisches. Dann jedoch überspannt sie den Bogen ihrer Forderungen, so dass sie am Ende der Geschichte wieder in der armseligen Hütte – dem Topfe – sitzt. Der Ehemann hat bei dieser dominanten Frau nichts zu melden.

    In seiner subjektiven Sicht empfindet Hans im Glück den durch listige Zeitgenossen verursachten Verlust (Tauschaktionen) als glücklichen Aufstieg: »›So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne!‹ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last (!) sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.«

    Am Ende des Kapitels steht noch ein nichtmenschlicher Aufstieg: Die gequälten Tiere aus den Bremer Stadtmusikanten sind als »Rentner-WG« stolze Besitzer eines Räuberhauses im Walde, wo sie ihren Lebensabend geruhsam verbringen.

    Berufe

    Märchen berichten meist aus der Perspektive des Kleinen, des Schwachen. Daher überwiegen die Berufe, mit denen man kaum sein tägliches Brot verdient; das vielfach verwendete Adjektiv »arm« in Verbindung mit der Berufsbezeichnung ist dafür ein eindeutiger Indikator (»Ein armer Holzhacker« →Das Waldhaus / »Ein armes frommes Bäuerlein« →Das Bäuerlein im Himmel). Umso schöner, wenn sich im Märchen Die Gänsehirtin am Brunnen die Tränen über die Armut in »Perlen« verwandeln. Aber der Märchendichter konstatiert am Ende ernüchtert: »Heutzutage kommt das nicht mehr vor, sonst könnten die Armen bald reich werden.«

    Berufe im Dorf und in der Stadt, a)niedere Tätigkeiten, b)mit Lehre, c)mit Studium

    Berufe außerhalb von Dorf und Stadt (Umgebung)

    Berufe am Hofe, a)niedere, b)höhere Tätigkeiten

    Außenseitertätigkeiten

    Sonstige

    1a)  Knecht (Der kluge Knecht), Spinnerin (Die faule Spinnerin), Krämer (Der Wolf und die sieben jungen Geißlein), »Arbeiter« (Die beiden Königskinder), Besenbinder (Die zwei Brüder), Magd (Die Gänsemagd), Wirt (Tischchen-deck-dich …), Fährmann (Der Teufel mit den drei goldenen Haaren), Barbier (Des Teufels rußiger Bruder), Fuhrmann (Muttergottesgläschen)

    1b)  Schmied (Der Nagel), Metzger (Der Dreschflegel vom Himmel), Goldschmied (Der treue Johannes), Schornsteinfeger (Der Grabhügel), Töpfer (Der gelernte Jäger), Schlosser (Der gelernte Jäger), Schuster (Meister Pfriem), Drechsler (Tischchen-deck-dich …), Schneider (der in den Märchen am häufigsten genannte Beruf → Das tapfere Schneiderlein), Fleischer (Der gute Handel), Schreiner (Das Bürle)

    1c)  Pfarrer (Der Meisterdieb), Arzt (Der Gevatter Tod), Lehrer (Der Geist im Glas), Richter (Der Jude im Dorn)

    2)    Holzhacker (Hänsel und Gretel), Fischer (Die Goldkinder), Hirte (Rohrdommel und Wiedehopf), Köhler (Der Ranzen, das Hütlein …), Fährmann (Der Teufel mit den drei goldenen Haaren), Förster (Fundevogel)

    3a)  Dienstmädchen (Die Alte im Wald), Magd (Die Gänsemagd), Gänsehirt (Die Gänsemagd), Küchenjunge (Dornröschen), Diener (Die beiden Königskinder), Gärtner (Das Mädchen ohne Hände), Soldat (Das blaue Licht), Koch (Die Nelke), Kutscher (Die weiße und die schwarze Braut), Schäfer (Das Bürle)

    3b)  General (Des Teufels rußiger Bruder), Kammerdiener (Der treue Johannes), Jäger (Schneewittchen und die sieben Zwerge)

    4)    Bei einigen Berufen ist die Eingliederung in ein starres Schema nicht möglich, weil die Menschen keinen festen Wohnsitz hatten oder Außenseitertätigkeiten ausübten: Scherenschleifer (Hans im Glück), Spielmann (König Drosselbart), Scharfrichter (Das blaue Licht), Totengräber (Der Grabhügel), Schinder (Die Gänsemagd), Geldwechsler (Der Jude im Dorn)

    5)    Nicht ganz ernst gemeint sind die »Berufe« im fünften Abschnitt. Der Meisterdieb fühlt sich ethischen Grundsätzen verpflichtet: »Glaubt nicht, dass ich stehle wie ein gemeiner Dieb, ich nehme nur vom Überfluss der Reichen. Arme Leute sind sicher: ich gebe ihnen lieber, als dass ich ihnen etwas nehme.« Erstaunlicherweise kann man in diesem Metier seine »Meisterprüfung« machen. Einsiedler und Bettler gehören ebenfalls zum letzten Abschnitt. Und hat nicht auch Frau Holle als Wettermacherin hier ihren angestammten Platz?

    Der nachfolgende Abschnitt erläutert die Rolle einiger ausgewählter Berufe: Pfarrer und ihre Adlaten haben keinen besonders guten Ruf. Der geistliche Herr findet sich im Märchen Das Bürle zum Schäferstündchen bei der Müllersfrau ein. Vor dem unverhofft zurückkehrenden Ehemann zunächst in einem Schrank versteckt, entkommt der Pfarrer mit Hilfe des Bäuerleins der prekären Situation. Im Meisterdieb lassen sich die tollpatschigen Geistlichen im Sack in den Taubenstall verfrachten – glaubend, im Himmel zu sein.

    Jäger sind in den Märchen stets positive, helfende Figuren. Der Jäger

    rettet Schneewittchen vor dem Tod (Schneewittchen)

    schont den Prinzen, den er ermorden soll (Das Wasser des Lebens)

    nimmt die Vaterstelle der beiden vom eigenen Vater ausgesetzten Kinder an (Die zwei Brüder)

    rettet überlegt Rotkäppchen und die Großmutter aus dem Bauch des Wolfes (Rotkäppchen)

    Diener setzen sich sehr für ihren Herrn ein. Der treue Johannes ist dazu bereit, sein eigenes Leben zu opfern, um das des Prinzen zu retten. Im Froschkönig trauert der eiserne Heinrich so sehr, dass er sich aus Kummer über die Verwandlung seines Herrn Eisenbänder um die Brust legt, die erst am glücklichen Märchenende zerspringen.

    Blut

    Eigentlich müssten sich in den Märchen tausende von Blutstropfen finden lassen, wenn man von den harten Todesurteilen ausgeht, die böse Menschen am Ende oft ereilen. Aber weit gefehlt: »Blut« wird ganz gezielt und pointiert als Motiv eingesetzt.

    Frau Holle: Das arme Mädchen muss sich täglich auf die große Straße am Brunnen setzen und so lange spinnen, bis die Finger wund sind. Schließlich will es seine blutbefleckte Spule waschen, die aber dabei in die Brunnentiefe fällt. »Blut« ist hier das Synonym für die totale Ausbeutung durch die böse Stiefmutter (→ Stiefmutter), die nur der Erfolg des Spinnens interessiert. Statt Mitgefühl erfolgt der barsche Befehl, das Werkstück wieder herauszuholen.

    König Drosselbart: Auch in diesem Märchen bekommt das Mädchen beim Spinnen blutige Finger. Als Prinzessin lebte es in einem goldenen Palast und hatte sich noch nie mit den alltäglichen Pflichten einer einfachen Hausfrau beschäftigt.

    Die Gänsemagd: Die Mutter gibt ihrer Tochter, die zum Bräutigam reitet, ein Tuch mit drei schützenden Blutstropfen (Zauber). Als sie es am See verliert, ist sie den Nachstellungen der bösen Magd (Rollentausch) schutzlos ausgeliefert.

    Der Liebste Roland: Drei sprechende Blutstropfen (→ Die Gänsemagd) vom Kopf des getöteten Mädchens helfen den beiden Liebenden zur schnellen Flucht. Zu spät entdeckt die Stiefmutter, dass sie ihre eigene Tochter erschlagen hat: »Was sah sie da? Ihr eigenes Kind, das in seinem Blute schwamm, und dem sie selbst den Kopf abgehauen hatte.«

    Aschenputtel: Das Blut im Schuh der beiden bösen Schwestern – Verstümmelung der Füße – zeigt dem Prinzen mit Hilfe der Tauben, dass die »rechte« Braut noch nicht vorhanden ist. Blut ist hier Indikator für das Eheglück.

    Brüderchen und Schwesterchen: Schwesterchen in der einsamen Waldhütte ist das richtige Mädchen für die Heirat, weil es durch die vom »Reh« gezogene Blutspur entdeckt wird. Recht seltsam ist in diesem Konnex, dass der »Reh-Bruder« stets dann das schützende Haus verlässt, wenn draußen gejagt wird.

    Die sechs Schwäne: Auf eine ganz andere Spur will die böse Mutter ihren Sohn setzen, indem sie seiner schlafenden Ehefrau dreimal Blut um den Mund schmiert. Das Mädchen, das – gebunden durch einen Schwur – nicht redet und sich somit auch nicht verteidigt, soll als Kindesmörderin und Menschenfresserin gebrandmarkt werden.

    Der treue Johannes: Der Diener ist – Gespräch der Raben – zu einer Steinfigur geworden, als er seinen Herrn retten wollte. Das Blut der vom eigenen Vater getöteten Königssöhne holt ihn ins Leben zurück. Zudem fügt er selbst – mit dem Blut als Zaubermittel – die Köpfe der getöteten Kinder wieder am Rumpf an. Blut ist somit als Lebenselixier verstanden.

    Das singende springende Löweneckerchen: Der in eine Taube verwandelte Löwe – per se ein verwunschener Prinz – lässt alle sieben Schritte einen Blutstropfen und eine Feder fallen, damit die Geliebte ihm folgen und ihn erlösen kann.

    Schneewittchen: Das Motiv des Blutes findet einen versöhnlichen Abschluss im Bild der zur Winterzeit am Fenster nähenden Königin, die sich versehentlich in den Finger sticht, den drei in den Schnee fallenden Blutstropfen nachsinnt und sich ein Kind wünscht, das »weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen« ist. Bald darauf kommt ein Kind zur Welt, ein wunderschönes Mädchen, das diesen Träumen entspricht.

    Brot

    Brot ist in den Märchen ein weit verbreitetes Grundnahrungsmittel. Daher sind die Berufe, die sich mit seiner Herstellung beschäftigen, sehr häufig (Müller → Rumpelstilzchen / Die Bremer Stadtmusikanten / Bäcker → Der Wolf und die sieben jungen Geißlein / Die zwei Brüder).

    Nicht nur hauptberufliche Bäcker backen Brot, sondern auch andere Märchenfiguren, wie zum Beispiel das Rumpelstilzchen: »Heute back ich …«. Frau Holle hat ihre Brotlaibe in einem großen Backofen; sie können sogar sprechen und mitteilen, dass sie jetzt bitte herausgezogen werden wollen, damit sie nicht verbrennen.

    Hänsel und Gretel: Fehlt das Brot, geht es den Menschen schlecht. Der arme Holzhacker »hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er auch das tägliche Brot nicht mehr schaffen.«

    Brüderchen und Schwesterchen: Lieblosigkeit prägt das Familienleben der beiden Geschwister, die von der bösen Stiefmutter nur die Brotreste erhalten. »Die harten Brotkrusten, die übrig bleiben, sind unsere Speise, und dem Hündlein unter dem Tisch gehts besser: dem wirft sie (die Stiefmutter) doch manchmal einen guten Bissen zu.«

    Gottes Speise: Die hartherzige Frau gibt der bedürftigen Schwester nichts zu essen. Das einbehaltene Brot blutet (!) beim späteren Anschneiden durch den Ehemann, der – herbeieilend – gerade noch die Schwester mit ihren Kindern sterben sieht.

    Simeliberg: Der arme Bruder hungert. »Es ging ihm oft so schlecht, dass er für seine Frau und Kinder kein Brot hatte«, doch der reiche Bruder will nicht helfen.

    Bruder Lustig: Der ausgediente Soldat erhält für die seinem Land geleisteten Dienste ein kleines Laibchen Kommissbrot (das lange haltbare, eisenharte, schlechte Brot; bei der Bundeswehr haben wir das immer »Panzerplatten« genannt).

    Bis auf das Märchen Gottes Speise kommt es für alle darbenden Akteure im Märchenverlauf zu einer eindeutigen Verbesserung der Lebenssituation. Hänsel und Gretel vertilgen zunächst einige Teile der Fassade des Hexenhäuschens. Sie bringen später Edelsteine und Perlen aus dem Fundus der Hexe mit nach Hause. Brüderchen und Schwesterchen leben glücklich am Königshof. Der arme Bruder im Märchen Simeliberg wird wohlhabend, weil er in aller Bescheidenheit nur einige Schätze aus der Höhle mitnimmt. Bruder Lustig endet nach einem von ihm voll genossenen Abenteuerleben schließlich trickreich bei Petrus im Himmel und ernährt sich dort wohl vom Himmelsbrot »Manna«.

    Brot kann als Wegweiser dienen. Die Brote erklären im Märchen Frau Holle, dass sie der himmlischen Wetterfee gehören, die ganz in der Nähe wohnt. Brotkrumen als direkte Wegzeichen – wie bei Hänsel und Gretel – sind hingegen denkbar ungeeignet, da sie im Wald (→ Wald) von den Vögeln gefressen oder vom Winde verweht werden. Nach dem Tod der Hexe im Backofen finden die Kinder schnell den Nachhauseweg, nach dem sie zuvor tage- und nächtelang gesucht hatten.

    An dem Hasen, der bei der Königstochter Brot für den Jäger einfordert, erkennt sie, dass ihr Geliebter noch lebt und die Heldentaten durchgeführt hat. Die nie völlig erloschene Liebe entflammt wieder; die Heirat ist fest beschlossene Sache. Das Brot dient hier als Wegweiser zum »rechten« Ehemann (Die zwei Brüder).

    Mit Brot kann man zeigen, ob man einen Menschen mag oder nicht. Im Märchen Der heilige Joseph im Walde hängt die Quantität der Nahrung (Brot und Getränke), die die Mutter den in den Wald ziehenden Töchtern mitgibt,

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